Erfolgreich im zweiten Anlauf
Shownotes
Ein wertloses Unternehmen übernommen – und was nun? Eine neue Geschäftsidee musste für die Gründer Erik Renk und Michael Gebhardt aus Leipzig her. Die Idee: gesündere Müslis und Nudeln durch angekeimtes Getreide – ein Trend, den sie in den USA entdeckt hatten. Doch der Start war finanziell auf Kante genäht, ein Zulieferer ging pleite, und für den Aufbau einer eigenen, hygienisch einwandfreien Produktion fehlte das Geld. Ob die Saat für die beiden Gründer schließlich doch aufging?
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KfW Podcast „Ungeschönt“
Keimster GmbH
Transkript
Am Ende des Tages war es trotzdem immer sehr unentspannt, also der finanzielle Druck, der auf einem lastet, weil man natürlich auch gewisse Dinge bezahlen muss wie Gehälter, Steuern, Sozialabgaben. Das sind schon schlaflose Nächte, wenn man mit so wenig Geld startet.
Funktioniert das überhaupt, was ich jetzt hier angehen will? Und das Wichtigste bei einem Start-up ist ja auch immer die Liquidität, weil es kommen sehr viele Kosten auf einen zu; und der größte Fehler, den man dann machen kann, ist, sich zu viel Ware ans Bein binden.
Röstfrisch sind die Kaffeebohnen von Marshall Street Coffee, einem Hamburger Café, das wir in unserer vergangenen Folge von „Ungeschönt“ vorgestellt haben. Das Gründerpärchen hat sich ganz der australischen Kaffeekultur verschrieben und röstet die Bohnen aus Qualitätsgründen selbst. In unserem Gespräch heute geht es auch um selbst weiterverarbeitete Produkte, nämlich um angekeimte Getreidekörner, die das Müsli gesünder machen. Ein Geschäftsmodell, das erst einmal recht erklärungsbedürftig klingt. Und die beiden Gründer hatten eine Reihe von Startschwierigkeiten, von Personal über Finanzierung bis Zulieferer – Fehler, aus denen sie gelernt haben. Herzlich willkommen, sagt Holger Thurm!
Und ich begrüße Michael Gebhardt und Erik Renk, die beiden Gründer der Keimster GmbH in Leipzig. Hallo!
Hallo!
Hallo!
Was gab es denn heute Morgen zum Frühstück bei Ihnen? Ich nehme mal an: Müsli?
Genau, bei mir schon. Wir haben jetzt eine neue Sorte rausgebracht: „Sweet & Sprouted“, das gab es bei mir.
Ja, bei mir gibt es gar kein Frühstück, denn ich faste morgens. Aber mein Müsli, das esse ich dann einfach später.
Lassen Sie uns, bevor wir weitersprechen, erst einmal Ihre Produkte und das Geschäftsmodell der Marke Keimster beleuchten.
Erik Renk und Michael Gebhardt bieten Müsliflocken, Mehl, Nudeln und Reis online auf keimster.de an. Doch zuvor holen sie noch mehr aus dem Getreidekorn raus. Und zwar durch eine in Vergessenheit geratene Methode: das Ankeimen. Kommt das ruhende Korn mit Wasser in Berührung, wird es aktiviert und baut wertvolle Nährstoffe auf. Dadurch wird das Getreide bekömmlicher und sättigt besser. Doch der Keimungsprozess muss hygienisch einwandfrei sein, damit sich kein Schimmel bildet. Keimdauer und Temperatur müssen überwacht werden. Die angekeimten Getreide werden anschließend schonend getrocknet, verpackt und verschickt.
Den Produktionsprozess mussten die beiden zeitweise in Eigenregie durchführen. Der Aufbau der Produktion und der Logistik war teuer und aufwendig. Dafür war Kapital notwendig, das die Gründer nicht hatten. Und Investoren zu überzeugen, stellte sich als gar nicht ganz so einfach heraus.
Ja, das klingt nach einer durchaus komplizierten Produktions- und Logistikkette. Jetzt müssen Sie mir zunächst einmal verraten, wie Sie auf die Idee gekommen sind, Getreide extra vor dem Verzehr anzukeimen.
Ja, die Idee kam uns 2016, und zwar haben wir öfters schon darüber nachgedacht, etwas Neues auf den Markt zu bringen. Und als ich dann auf einer privaten Reise in den USA war, in Kalifornien, da ist mir die Idee gekommen, als ich so durch die Bioläden in Kalifornien gestreift bin und dann gesehen habe: „sprouted grains“, also „angekeimte Getreide“. Was ist das eigentlich? Und da gab es denn auch nicht nur Müsliprodukte, sondern auch Taco-Chips sprouted, dann Pasta und alles Mögliche.
Und, Herr Gebhardt, Sie haben das in den USA entdeckt. Würden Sie sagen, sprouted, also angekeimte Produkte sind auch hierzulande ein Ernährungstrend? Oder ist das immer noch ziemlich erklärungsbedürftig?
Tatsächlich ist diese Sprouted-Grains-Bewegung auf der Welt immer stark am Wachsen. Also ich glaube, von 2017 auf 2018 hat sich das sogar verdoppelt. Ich denke, das wird auf jeden Fall in den nächsten Jahren noch viel, viel mehr an Bedeutung bekommen. Und wird da auf jeden Fall auch nicht nur im Müslibereich, sondern auch in Pasta und Brot noch weiterwachsen.
Sie haben vor einigen Jahren eine Firma gekauft, die hieß ganz anders, und die hat auch etwas ganz anderes vertrieben, nämlich vegane Überraschungsboxen. Warum war diese Unternehmensnachfolge keine gute Idee?
Ja, das fing eigentlich schon damit an, dass wir uns mal dazu entschieden haben, ein Unternehmen zu kaufen. Und zwar hatte ich jemanden kennengelernt, der halt Kontakt hatte zu den Gründern von YourBioBrands UG. Das war damals die Firma, die wir dann auch letztendlich gekauft haben. Und die haben vegane Überraschungsboxen übers Internet versendet, weil vegan war damals noch ein ganz neues Thema. Man wusste gar nicht, wo man Produkte beziehen kann. Und auf diesem Peak haben wir halt dieses Unternehmen gekauft. Und derjenige, der das auch quasi uns vorgestellt hat, der sollte halt auch derjenige sein, der das dann führt, und wir wollen eher so eine strategische Komponente beisteuern. Und dabei ist letztendlich einiges schiefgegangen. Das fing natürlich am Anfang schon mit der Unternehmensbewertung an: Wie kommt man da auf einen vernünftigen Preis? Es haben sich aber auch nachher in der Umsetzung Schwierigkeiten ergeben.
Sie hatten sich ja vermutlich mit der Firma ein bisschen auseinandergesetzt. Welche Punkte hatten Sie denn übersehen? Sie sprachen jetzt schon an: Unternehmensbewertung, Preis. Vielleicht beleuchten wir das als Erstes.
Ja, man kauft ja nicht jeden Tag ein Unternehmen, ne? Deswegen. Und das ist ja auch nicht wie an der Börse, wo man sagt, die Aktie hat jetzt einen Wert von 30 Euro, also Angebot und Nachfrage spielen sich irgendwo ein. Das ist ein intransparenter Markt. Wir waren, sage ich mal, noch grün hinter den Ohren – das ist ja auch mittlerweile schon ein paar Jahre her – und hatten halt von solchen Transaktionsprozessen auch keine Ahnung. Haben uns dann auch blenden lassen: Was ist ein Facebook-Account wert, was ist ein YouTube-Account wert? Was sind die Newsletter-Abonnenten am Ende des Tages wert? Was sind die bestehenden Kundenbeziehungen wert? Was ist die Infrastruktur, die da geschaffen wurde, die Lieferantenanbindung, was ist das alles wert? Und man muss natürlich sagen, die Verkäufer haben natürlich einen guten Grund, den Kaufpreis möglichst hochzubringen, die Braut, sage ich mal, vor dem Verkauf noch hübsch zu machen. Und ja, wenn man natürlich dann derjenige ist, der sich da so blenden lässt, dann hat man natürlich ein Problem. Und bei uns war das dann tatsächlich so, dass sich viel im Nachhinein herausgestellt hat, dass wir einfach zu viel bezahlt haben und auch komplizierte und nicht durchdachte Prozesse übernommen haben, die uns einfach auch behindert haben, eine schnellere Weiterentwicklung zu machen, weil es einfach nicht ausgereift war.
Das heißt, Sie führen das im Wesentlichen auf Ihre Unerfahrenheit zurück. Hätten Sie sich da eventuell Rat oder Tat holen können?
Ja, oft weiß man ja gar nicht, dass man ein Problem hat. Ja, deswegen. Also damals hätten wir es ja gemacht, hätten wir es gewusst oder das für wichtig empfunden. Aber so, wie das meistens bei Anschaffungen ist, auch wenn man jetzt sich ein neues Auto kauft oder irgendwas anderes anschafft: Man ist dann doch sehr euphorisch und malt sich das natürlich auch positiv aus. Es ist auch eine gewisse Naivität, glaube ich, die Gründer brauchen – war jetzt aber in dem Punkt Unternehmenstransaktionen nicht hilfreich, muss ich ganz ehrlich sagen.
Sie hatten auch ein Team für diese Firma vorgesehen, jemanden, der das operative Geschäft für Sie erledigen sollte. Sie sagten, Sie selber wollten sich da lieber strategisch einbringen. Warum ist das Konzept nicht aufgegangen?
Ja, also, man muss ja sagen: Gründer mit ins Boot holen, das ist wie Heiraten. Da hatte ich jetzt persönlich Glück mit Michael – aber ich sage mal, wir leben da ja nicht monogam, sage ich jetzt mal auf gut Deutsch, sondern hatten halt auch dann, wie gesagt, denjenigen mit an Bord, der das uns vorgestellt hat. Den kannten wir nicht so lange. Und wir haben auch den Fehler gemacht, das gar nicht richtig zu testen: Was ist das für eine Position? Weil als Geschäftsführer ist man dann schon ganz, ganz vielen – ja, wie soll ich sagen? – Stakeholdern, also Leuten ausgesetzt, die was von einem wollen. Man muss sehr stressresistent sein, viele Sachen gleichzeitig managen, trotzdem noch die Vision im Kopf haben – also ganz, ganz viele Sachen in einem Start-up, die erledigt werden müssen. Und derjenige, der das dann führen sollte, war diesem ganzen Druck gar nicht gewachsen und hätte das Ding beinahe komplett gegen die Wand gefahren.
Würden Sie mit Ihrer heutigen Erfahrung anderen Gründerinnen oder Gründern empfehlen, Freunde mit ins Boot zu holen bei Gründungen oder bei Unternehmensnachfolgen vielleicht doch von Anfang an auch selbst operativ tätig zu werden?
Ja, wenn man das Glück hat, dass jemand das operativ macht und das kann, dann hat man natürlich den Sechser im Lotto gezogen, weil man dann nur mit beratenden Funktionen oder Geld zur Seite steht. Das ist natürlich am Ende des Tages das Angenehmste. Man muss sich bloß auf denjenigen dann 100 Prozent verlassen können, der das macht. Und natürlich muss man auch heute noch viel mit anpacken, in den Prozessen reingehen, weil man ja immer Ressourcenknappheit hat. Punkt eins, also man ist immer gefordert. Und Punkt zwei: Bei den Freunden hat man natürlich den Vorteil, dass man sie kennt. Man kennt die Stärken und Schwächen. Man, sag ich mal auf gut Deutsch, man hat jemanden schon mal ausrasten sehen, wenn er unter Strom steht. Man weiß also, wie er sich in schwierigen Situationen verhält. Und diese Transparenz, die hat man natürlich Fremden nicht gegenüber. Allerdings kann das passieren, wenn man jetzt einen Freund mit reinnimmt und der nicht dafür geeignet ist, muss man die Position des Geschäftsführers wechseln und hat am Ende des Tages noch einen Freund verloren. Das ist natürlich auch sehr schade. Deswegen sollte man an erster Stelle schauen: Ist derjenige wirklich geeignet, diese Position auszuführen? Also, dass er auch Komplementäreigenschaften hat. Am besten nicht, dass alle sich als Stürmer fühlen und hinten kriegt man die ganzen Tore rein. Also sprich: Es können vielleicht viele Leute Marketing, aber keiner die IT. Ja, also dass man sich wirklich strategisch aufstellt: Wen brauche ich? Was muss der mitbringen? Und dann schaut: Hab ich den vielleicht sogar bei mir im Freundeskreis? Dann habe ich einen Pluspunkt, weil ich weiß: Okay, der kann das auch machen. Ich weiß, wie der reagiert, weiß, wie der drauf ist. Aber wie gesagt, das steht für mich an zweiter Stelle.
Betrachten wir mal Ihre Produktion und die Logistik, die hinter Keimster steckt. Sie haben ja mit recht kleinen Stückzahlen und kleinen Verpackungsgrößen begonnen. Aber warum?
Zum Anfang muss man sich ja immer die Frage stellen: Funktioniert das überhaupt, was ich jetzt hier angehen will? Und das Wichtigste bei einem Start-up ist ja auch immer die Liquidität, weil es kommen sehr viele Kosten auf einen zu; und der größte Fehler, den man dann machen kann, ist, sich zu viel Ware ans Bein binden, wenn man dann gerade ein Geschäft hat, wo man Waren verkauft und keine Dienstleistungen. Und da ist es wichtig, dieses Lean-Start-up-Konzept, also dieses schnell etwas machen und dann aber auch schnell die Learnings ziehen, ob das jetzt funktioniert hat, und auch Feedback kriegen, ob das funktioniert hat, und dann wieder anpassen, immer in kleinen Losgrößen zu wachsen und immer einen Schritt nach dem anderen zu gehen.
Am Anfang hat man halt kleine Stückzahlen, dafür höhere Kosten, was die Produktion betrifft. Aber man muss es einfach als Forschungs- und Entwicklungskosten sehen und nicht, dass man damit reich wird. Wir wussten ja auch ganz lange gar nicht: Wie viel Kilo oder wo soll das rein? Hält die Verpackung? Wie ist das im Sommer, wie ist das im Winter? Wie liefern die einzelnen Paketdienste aus? Da sind so viele Sachen unklar. Und wenn man da einen Riesenfehler macht, mal unabhängig von diesem Liquiditätsthema, dann haut das richtig rein. Das kann einen die Firma kosten.
Keimster-Produkte sind ja jetzt auch, ich sag mal, durchaus aufwendig hergestellt mit diesem Ankeimungsprozess. Welche Probleme mussten Sie beim Aufbau der Produktion lösen? Also, konnten Sie zum Beispiel auf Anhieb die richtigen Zulieferer finden?
Ja, da hatten wir zum Glück einen sehr angenehmen Start, dass wir dann einen Produzenten finden konnten, der mit uns schon fast partnerschaftlich gestartet ist, auch in diesen kleinen Losgrößen. Aber das ging dann auch leider nur ein Jahr gut, weil derjenige dann Insolvenz anmelden musste und wir dann halt schlagartig das selber alles darstellen mussten. Wir haben uns dann Lohnhersteller gesucht, die [es für] uns nach unseren Vorgaben und Rezepturen [getan haben], weil diese Herstellung halt von der Hygiene einwandfrei sein muss. Also, es kann man ungefähr vergleichen, sag ich mal, mit einer Fleischproduktion, weil das halt eben so ein sensibles Produkt ist. Und ja, das haben wir uns dann alles Schritt für Schritt aufgebaut.
Warum mussten Sie das selber machen? War es nicht möglich, den Zulieferer schnell durch einen anderen zu ersetzen?
Ne, weil das halt eben das neue Produkt ist, was es so auf dem Markt noch nicht gibt, und halt auch viele Sachen dazugehören. Also eben ja auch der Versand. Und es muss dann irgendwo gelagert werden. Das wurde nachher alles erst mal vom Anfang von dem Partner erledigt. Und ja, das muss man sich ja alles einzeln rauspicken.
Ja, ich muss das auch sagen. Es war auf jeden Fall eine turbulente Zeit, weil das kam ja wirklich von jetzt auf gleich. Wir hatten dann ja, wie gesagt, alles ausgelagert, haben uns da in eine große Abhängigkeit begeben. Also es war wirklich schön am Anfang, dieses: Wir schicken nur Labels hin und das Produkt geht raus. Aber … schlagartig wurde das zum ganz großen Nachteil. Und klar, man ist mit innovativen Produkten unterwegs. Und da gibt es ja vielleicht zwei, drei Produzenten, die das am Ende des Tages machen. Und für einen großen ist es nicht interessant, da was Neues zu entwickeln, weil der Markt ja einfach noch viel zu klein war. Und das war wirklich eine turbulente Zeit, um auch gleichzeitig halt bei uns diese ganze Logistik aufzubauen. Weil wir hatten ja vorher einen reinen Bürobetrieb, haben gesagt: Wir machen Marketing, wir machen Rezepte, Fotos, bauen die Website auf, Social Media. Und jetzt wurden wir auf einmal in so eine kapitalintensive Kiste reingestoßen, wo wir schnell reagieren mussten und vor allen Dingen auch halt die Kommissionierung übernehmen. Weil das, was man bekommt im gewerblichen Bereich, ist halt eine Halle – und da ist nix drin, ne? Da muss man halt sehr viel Geld investieren. Und das war für uns halt auch megaschwer, das alles in der kurzen Zeit hinzukriegen, eine Halle zu finden. Wir mussten dann wirklich den ganzen Boden … musste mit Epoxidharz gemacht werden. Sie müssen sich vorstellen, das sind Kosten von über 10.000 Euro. Die Küche musste gefliest werden. Ganz viel Trockenbau musste gemacht werden, um alles zu verschalen. Vordächer … Aber ich will jetzt gar nicht anfangen, was da alles für Auflagen waren. Und dann hieß es: Okay, Taschen auf! Das war dann halt eine sehr schwierige Situation, die gelöst werden musste.
Da sind wir ja eigentlich schon mitten im Thema Finanzierung. Vielleicht noch bevor Sie diese Halle mieten mussten: Wie sind Sie denn überhaupt bei der Finanzierung von Keimster vorgegangen? Also das fängt ja damit an, dass Sie die Produkte vorfinanzieren müssen und sie können nicht sofort in den Verkauf gelangen.
Ja, da haben wir uns auch ein Geschäftsmodell überlegt, weil wir eben kein Kapital gleich von Anfang an hatten. Und zwar wollten wir es halt eben so machen, dass wir die Rohware bestellen, die fertigen Produkte, dann ein Zahlungsziel mit unserem Partner vereinbaren. Gleichzeitig machen wir die Seite aber schon online, sodass die Kunden bestellen können. Und mit den Bestellungen der Kunden können wir dann im Prinzip auch den Partner oder den Dienstleister, also, der für uns das ganze Fulfillment gemacht hat, bezahlen. Und so konnte man im Prinzip Schritt für Schritt sich weiter nach oben hangeln und brauchte fast kein Startkapital.
Ich würde gern noch etwas ergänzen zu Michael, weil ich das immer jetzt rückblickend total risky finde, was wir da gemacht haben. (lacht) Also ich muss ein bisschen schmunzeln, weil … Klar, wir haben jetzt keine round about vielleicht 50.000 Euro investiert eigenes Geld. Klar, Stammeinlage und, sag ich mal, Einlagen halt geleistet oder Darlehen gegeben, aber das ist halt überschaubar für das, was man da aufzieht. Und dann ist es wirklich so, wir haben so eine Just-in-Time-Production gestartet, dass wir online verkaufen können. Das war auch eine Kompetenz, die haben wir inhouse. Also Michael kann halt selbst programmieren oder Shops aufsetzen. Weil bei Offline ist es so: Ich muss erst mal 50.000 Stück produzieren, da muss ich Geld für bezahlen. Und dann sage ich: Liebes Edeka oder liebe Rewe, hier, wollt ihr das haben? Ja, wollen wir haben – und dann bezahlen wir dich zwei Monate später. Und das ist das Problem, diese Zeit zu überbrücken. Aber online konnten wir das wirklich dadurch auch, dass der Zulieferer für uns das versendet hat. Wir haben gesagt: Heute sind 20 Bestellungen reingekommen, pack das ab, schick das raus, und wir kriegen die Rechnung. Also, wir brauchten gar keinen Kapitalstock, um halt Waren vorzufinanzieren. Was in unserem Business wirklich eine ganz, ganz besondere, ja, Startmöglichkeit wäre. Ohne die hätten wir wahrscheinlich schon viel früher jemanden mit an Bord holen müssen. Am Ende des Tages war es trotzdem immer sehr unentspannt, also der finanzielle Druck, der auf einem lastet, weil man natürlich auch gewisse Dinge bezahlen muss wie Gehälter, Steuern, Sozialabgaben. Das sind schon schlaflose Nächte, wenn man, sag ich mal, mit so wenig Geld startet. Also, könnte ich mir das aussuchen, würde ich natürlich immer gern mit mehr Geld starten als mit weniger.
Aber wenn ich Sie richtig verstanden habe, wurde es richtig kostspielig mit dem Produktionsaufbau in Leipzig. Da mussten Sie ja dann die Halle mieten. Da spätestens war eine Fremdfinanzierung notwendig. Und welche Finanzierungsmodelle haben Sie da erwogen? Und wie haben Sie Ihren Kapitalbedarf dann schließlich gedeckt?
Ja, gerade zum Anfang ist es ja für Banken auch eher sehr risikoreich, in Start-ups zu investieren, weil die halt einfach auch ein anderes Geschäftsmodell haben. Und da kam aber für uns dann infrage, den KfW-Starterkredit zu beantragen, weil da ist es ja so auch, dass dann die KfW der Bank etwas Risiko abnimmt, um halt eben solche Vorhaben auch zu fördern. Ja, das haben wir dann natürlich erwogen, haben das dann beantragt. Und das hat dann auch glücklicherweise geklappt.
Man muss ja auch mal sehen, also Start-up ist wirklich High-Risk. Und ich sage mal: Wenn man jetzt keine Sicherheiten hat oder Bürgschaften, also Sicherheiten, Immobilien, dann wird es halt schwierig, weil es ist ja auch klar, wenn ich Geld auf dem Girokonto habe und die Bank das verleiht, da möchte ich ja auch nicht, dass nachher nur noch die Hälfte an Wert bei mir dann im Konto steht. Also die Bank darf per se kein Geld verlieren. Und da wir ja gar nicht den Break-even geschafft haben, da wir ja gar nicht Cashflow-positiv waren zu der Zeit und immer auch selbst eigenes Geld reinstecken mussten, war das Wagnis letztendlich für einen normalen Bankkredit viel zu hoch, weil die Kapitaldienstfähigkeit ja quasi nur auf Zukunftsprognosen basierte. Und da kann man eigentlich entweder nur mit seiner Haftungsfreistellung, mit so einer KfW arbeiten, oder man nimmt halt einen Investor mit an Bord. Aber das ist halt auch nicht ganz einfach, einen Investor zu überzeugen, dass er bei uns in das Business investiert. Das haben wir auch später bei der „Höhle der Löwen“ gemerkt, welche Widerstände da waren, welche, ja, welchen kritischen Fragen man sich da aussetzen muss.
Da wollte ich gerade mal einhaken: Sie haben sich ja um Investoren bemüht, unter anderem eben mit diesem Fernsehauftritt bei „Höhle der Löwen“. Provokant gefragt: Wie war der TV-Auftritt und warum hat es trotzdem zu einem Deal gereicht?
Also, wir haben uns da nicht bemüht, sondern da muss ich Michael für seine Hartnäckigkeit auch einfach mal sagen, wie krass das war. Weil ich hätte das nicht geglaubt, dass das klappt. Und Michael, egal ob beim KfW-Kredit, wo er mega drangeblieben ist, als auch die mehrmalige Bewerbung bei der „Höhle der Löwen“, wo immer wieder Absagen kamen, hat ihn nicht davon abgehalten, sich weiter zu bewerben. Und ich hätte da … ja, ich weiß nicht, ob ich das so durchgeführt hätte. Aber das ist auf jeden Fall eine ganz, ganz wichtige Eigenschaft, weil Michael mich da auch immer wieder positiv überrascht hatte, einfach dranzubleiben. Also auch beim KfW-Kredit: Unsere Zahlen, die sehen jetzt noch nicht so positiv aus. Ich glaube nicht, dass das was wird. Und er hat es doch gemacht. Und am Ende des Tages hat der Banker das noch durchgeboxt, und es hat alles geklappt. Und genau so war es auch bei der „Höhle der Löwen“: Nach mehrmaligen Absagen noch mal wieder sich zu bewerben, fand ich krass, und es hat funktioniert. Und das ist auch, glaube ich, eine ganz, ganz wichtige Botschaft. Das hat auch mich positiv geprägt. Klar, also, Erfolg ist eine Überwindungsprämie. Und auch wenn da Absagen kommen, einfach dranzubleiben, immer wieder aufzustehen, das fand ich jetzt bemerkenswert halt bei der „Höhle der Löwen“.
Ja, zum Punkt: Wie hat es dann geklappt mit dem Deal? Weil es ja dann auch in der Sendung so aussah, als ob es nicht so gut gelaufen ist – und dann haben wir trotzdem einen Deal bekommen. Man muss sich auch vorstellen, dass ja diese 15 Minuten, die da ausgestrahlt werden, ja eigentlich auch ein, zwei Stunden … also, ich glaube, wir waren sogar fast zwei Stunden da in dieser „Höhle der Löwen“ und haben uns da den Fragen gestellt. Und dann kommt ja wirklich super viel. Und es ist ja auch eine Show. Und man merkt halt auch, dass die Löwen ja darauf gepitcht sind, bei Unsicherheiten dann direkt da reinzugehen, und man ist super aufgeregt. Auch die Zusage, dass wir in die Sendung kommen können, war auch wieder kurz vor knapp. Also wir sind … es war irgendwie unter der Woche, wo es dann hieß: Ja, könnt ihr nächsten Dienstag kommen? Und dann muss man sich vorstellen, dass man ja dann den Pitch vorbereitet. Also es ist ja wirklich trotzdem nicht gespielt, es ist ja wirklich alles echt. Also die Investoren wissen nicht, wer man ist, und wir wissen ja auch nicht, wie die dann auf unser Produkt reagieren. Und es wird auch alles genauso getimt, dass man sich nicht sieht vorher. Ja, und wenn man denn da einmal ein bisschen zögert, dann gehen die Löwen da direkt rein, und dann wird da einfach weitergemacht. Aber ja, wie gesagt, wir haben uns da eigentlich ganz gut geschlagen, wenn man jetzt den ganzen Pitch sehen würde. Und das hat halt auch eben dazu geführt, dass wir dann die Angebote bekommen haben.
Also, hat dann doch noch geklappt mit einem Deal bei „Die Höhle der Löwen“. Das war sicherlich eine recht lehrreiche Erfahrung, so ein Fernsehauftritt. Apropos lehrreich: Wir kommen jetzt mal zu den Learnings. Also, einige haben wir schon angesprochen. Vielleicht fassen wir die jetzt mal in unserer Rubrik „Mantra Mantra“ zusammen.
Worauf sollten junge Unternehmerinnen und Unternehmer denn achten, wenn sie ein bestehendes Unternehmen im Zuge einer Unternehmensnachfolge übernehmen? Oder wann ist neu gründen sinnvoller?
Ja, ich sage mal so: Wenn man so einen Prozess einmal im Leben macht, kann man das mit einem Hauskauf vergleichen. Man sollte sich auf jeden Fall Experten zur Seite nehmen. Oder man fühlt sich wirklich in der Lage, das zu bewerten, was man dort kauft. Und da kann ich nur die Empfehlung geben, einen Mentor mit an Bord zu holen, der dann so eine Transaktion schon mal durchgeführt hat, der dann sagt: „Pass auf, guck mal da hin, schau dir die Zahl noch einmal an!“, oder: „Geh mal vom Preis viel weiter runter!“, oder: „Schau, dass du nachher im Kaufvertrag Klauseln mit reinnimmst, die dich auch absichern, falls sich das als Luftnummer dann herausstellt!“ Das, denke ich, das ist ganz, ganz wichtig, dass man dort einen Mentor vielleicht hat, der das nicht zum ersten Mal macht.
Welche Kriterien sollten bei der Personalwahl angelegt werden, also im Team und auch bei Führungsaufgaben?
Man muss sich wirklich Gedanken machen: Wen brauche ich? Was hat der für Eigenschaften? Stellt man jetzt den sechsten Marketingkollegen an, den man gut kennt, mit dem man freitags immer unterwegs ist und der sagt: „Ach, hört sich nett an, ist cool!“ Man ist ja in so einer lila Wolke, und alle sind euphorisch. Oder man macht sich wirklich Gedanken: Was braucht jetzt das Unternehmen für Leute? Brauchen wir vielleicht doch mehr Leute, die sich auch mit IT auskennen? Kann der das wirklich leisten, was man da erwartet? Oder trinken wir jetzt einfach nur mal ein cooles Bier und philosophieren so? Das ist auch wichtig und hilft auch, diese Naivität. Aber man muss auch ehrlich zu sich selbst sein und das auch, sag ich mal, nüchtern betrachten.
Ihre besten drei Tipps für alle, die im Food-Bereich gründen wollen?
Tipp eins ist auf jeden Fall, ein Produkt zu schaffen und da so viel Emotionen wie möglich hereinzustecken und das auch nach außen zu kommunizieren, weil die Leute aus diesem Grund kaufen, weil wir Menschen halt emotionale Wesen sind und dahingehend auch unsere Kaufentscheidungen treffen. Punkt zwei: die Zahlen und die KPIs genau kennen vom Unternehmen, dass man weiß, wo die Fahrt hingeht, dass man einen Plan hat. Das ist gerade zum Anfang immer sehr, sehr schwierig, weil man halt auch ja noch keine Kennzahlen hat und auch das eher so einem Ratespiel gleicht. Aber trotzdem ist es, rückblickend betrachtet, immer wichtig. Und es wird auch immer wichtiger. Tipp drei ist, sich trotz all dessen immer noch ein bisschen Grundnaivität bewahren. Man muss da einfach ein bisschen … also diese rosarote Brille oder die lila Wolke, wie Erik gesagt hat, die ist auf jeden Fall sehr wichtig. Und am Ende des Tages muss man einfach machen, einfach starten und dann Schritt für Schritt [gehen], und das wird sich schon alles ergeben.
Was ist die optimale Vorbereitung für Finanzierungsgespräche oder für Investorenpitches?
Wichtig ist, dass man die Zahlen kennt in seinem Unternehmen. Und dass man das auch realistisch einschätzt, wo die Reise dann hingehen soll, weil oft ist es ja in den Businessplänen so bei den Banken, dass die einen Forecast haben wollen: Was passiert nächstes und übernächstes Jahr? Und da kann man sich ja dann auch darauf einstellen, wenn man das dann nicht erreicht, dass man dann auch mal ein Gespräch führt mit der Bank, warum man das nicht erreicht hat. Das fällt einem auf die Füße, wenn man dann zu optimistisch ist. Auf der anderen Seite, wenn man zu pessimistisch ist, sagt die Bank auch: Wann willst du denn hier in zehn Jahren den Break-even erreichen? Das ist uns zu viel Risiko! Zieh den mal ein bisschen weiter nach vorne! Und da beißt sich halt die Katze in den Schwanz. Das sind ja viele Annahmen, die man da treffen muss. Auf jeden Fall sollte man auch da sich wieder Gedanken machen. Es gibt auch viele Gründerberater, die gut sind in dem Bereich, die Erfahrung auch damit haben, weil das ist auch wieder so ein Thema, das macht man ja nicht jeden Tag. Ich mache das das erste Mal, dass ich ein Unternehmen finanziere. Ich hab da ja … Da sind so viele Dinge, die da rein müssen in so einen Businessplan, dass es, glaube ich, auch da wieder Sinn macht, zu sagen: Den soll man nicht schreiben lassen, aber ich suche mir einen Sparringpartner, einen Mentor, mit dem zusammen ich das einfach durchspreche.
Ja, prima, vielen Dank, Herr Renk. Vielen Dank, Herr Gebhardt! Jetzt habe ich am Ende unserer Episode noch ein paar Sätze für Sie, die Sie bitte ganz spontan und ohne nachzudenken vervollständigen. Wenn Freunde oder Freundinnen gemeinsam gründen, heißt das …?
Stress!
Ja (lacht), Stress!
Gründungsgeist funktioniert am besten gemeinsam mit …?
Freunden!
Ja, Freunden!
Meine perfekte Müslimischung lautet …?
Was habe ich da? Also ich nehme immer Michas …
Overnight-Oats machst du doch immer?
Genau, ich mache Michas Müsli am liebsten und lege mir das eine Nacht vorher ein, weil ich das halt ein bisschen weicher gerne mag. Und dann mache ich mir alles Mögliche rein: Chiasamen, Früchte – also alles, was es so gibt, also bunt gemischt.
Wir haben jetzt vier Jahre gebraucht, das erste Fertig-Früchtemüsli an den Start zu bringen. Auf jeden Fall gut, weil das ist jetzt auch mein Lieblingsmüsli, das Fertigmüsli.
Vor meinem nächsten Fernsehauftritt werde ich …?
Ja, wahrscheinlich wieder so aufgeregt sein wie beim letzten.
Ich hätte gesagt jetzt, weniger aufgeregt sein.
Ach, ich glaube, das ist zu hart, also mir stand das Blut still, Michi! Das habe ich noch nie gemerkt. Also alles … Michi macht das ganz locker! (lacht)
Ja, genau!
Meine abstruseste Geschäftsidee, die ich zum Glück nie verfolgt habe, war …?
Oh, was war das? Ich glaube, Online-Fitnesskurse.
Wir wollten mal eine Coaching-App entwickeln.
Genau, und in dem Zuge war das glaube ich auch mit dem Online-Fitnessprogramm. Wobei bemerkt sei, da war der Hype von Online-Fitnesskursen auch schon durch.
Ja, ganz herzlichen Dank, Michael Gebhardt und Erik Renk, die Gründer der Keimster GmbH in Leipzig! Ganz viel Erfolg mit Ihrem angekeimten oder sprouted Getreide, wie ich heute gelernt habe. Toi, toi, toi!
Ja, vielen Dank, dass wir dabei sein durften! Und wir wünschen natürlich den Gründern da draußen viel Erfolg bei ihren Geschäftsideen und Geschäftsmodellen!
Ja, vielen Dank hat Spaß gemacht!
Nach gesunder Ernährung geht es in der kommenden Folge um körperliche und vor allem geistige Fitness. Die Gründer von Retrobrain konzentrieren sich auf die Gesundheit vor allem älterer und dementer Menschen. Das Sozialunternehmen entwickelt therapeutische Videospiele, die Körper und Hirn trainieren. Ein Ansatz mit wissenschaftlichem Background, der spielerische Aspekte mit medizinischer Forschung verknüpft. Auf welche ungeahnten Schwierigkeiten die Gründer sowohl bei Investoren als auch beim Produktaufbau und Recruiting stießen, erfahren Sie ganz „Ungeschönt“ in der nächsten Folge.
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