Aus dem Labor zur Gründung: plastikfreie Zukunft mit traceless
Shownotes
Hunderte Millionen Tonnen Plastik werden pro Jahr weltweit produziert und landen großenteils als Müll in Flüssen und Ozeanen. Dr. Anne Lamp und Johanna Baare wollen mit ihrer Firma traceless materials GmbH Kunststoffe künftig durch plastikfreie, ungiftige Biomaterialien aus Pflanzenresten ersetzen, die sich binnen Wochen natürlich zersetzen und spurlos verschwinden. Doch bis das traceless-Verfahren aus den wissenschaftlichen Kinderschuhen kam und ein kommerzielles, marktreifes Produkt daraus erwuchs, mussten die beiden Gründerinnen einige Rückschläge hinnehmen und vor allem den stark umkämpften Kunststoffmarkt kennenlernen.
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KfW Podcast „Ungeschönt“
traceless materials GmbH
mit Dr. Anne Lamp
Gerade im Bereich des Ingenieurwesens, im Bereich der Wissenschaft ist der Schritt in die Selbstständigkeit, in das Gründen eines Unternehmens überhaupt nicht vorprogrammiert. Das ist eher etwas, das einem fremd erscheint als Wissenschaftler_in, weil die KPIs sind Veröffentlichungen, vielleicht noch mal Patente, aber das war es eigentlich.
Und das ist eben auch der weitere ganz wichtige Schritt auf der Vorbereitungsliste zum Start-up-Gründen: eine Mitgründerin oder einen Mitgründer, weil alleine hält man das nicht durch. Es muss einfach klar sein: Das ist wie eine Hochzeit – das muss einfach sehr, sehr gut passen.
Hunderte Millionen Tonnen Plastik werden pro Jahr weltweit produziert. Ein Großteil davon landet als Müll in der Umwelt, vor allem in Flüssen und Ozeanen. Eine Einkaufstüte braucht im Meer bis zu 20 Jahre, um sich zu zersetzen. Eine PET-Flasche sogar 450 Jahre. Was wäre, wenn diese Materialien künftig aus Pflanzenresten hergestellt werden, die sich binnen Wochen komplett natürlich zersetzen? Ein Start-up aus Hamburg stellt diese plastikfreien Biomaterialien her. Wie aus dem wissenschaftlich erforschten Verfahren ein marktfähiges Produkt wurde und warum das für die beiden Gründerinnen ein steiniger Weg war, erfahren Sie jetzt. Hallo, sagt Holger Thurm!
Ich begrüße Dr. Anne Lamp, Co-Gründerin der traceless materials GmbH. Hallo, Frau Dr. Lamp!
Hallo! Moin, Moin!
Sie sind promovierte Verfahrenstechnikerin und haben das traceless-Verfahren entwickelt. War das zunächst rein wissenschaftliches Interesse, oder wie kam es dazu?
Ja, es begann alles mit einem wissenschaftlichen Interesse. Ich habe promoviert im Bereich der sogenannten Bioraffinerie. Das ist ein sperriger Begriff. Das bedeutet im Endeffekt so was wie die Erdölraffinerie, nur mit Biomasse. Und da geht es darum, die ganzen Millionen Tonnen Reststoffe, die wir produzieren weltweit als Nebenprodukte von Lebensmittelerzeugung, Nebenprodukte von Bioenergieerzeugung – da gibt es ganz viele Nebenprodukte, die eben nur minderwertig verwertet oder eben auch gar nicht verwertet werden. Und die Forschung der Bioraffinerie, die setzt sich eben damit auseinander, wie man damit noch hochwertigere Produkte generieren kann für zum Beispiel den Markt der biobasierten Chemikalien, der biobasierten Materialien oder eben auch der hochwertigeren Lebensmittel, die man dort eben auch noch daraus gewinnen kann. Damit habe ich mich viele Jahre beschäftigt. Und daraus ist dann das Verfahren hinter traceless auch entstanden, weil wir eben genau in dem Bereich aktiv sind, Reststoffe zu nutzen, die sowieso anfallen weltweit in solchen Lebensmittelproduktionsprozessen als Nebenstrom.
Sie haben das Unternehmen nicht allein gegründet, sondern zusammen mit Johanna Baare, die einen ganz anderen Hintergrund als Sie hat. Dazu gleich mehr. Wir wollen Ihr Unternehmen zunächst kurz vorstellen.
Spurlos verschwinden – das ist das Produktversprechen der traceless materials GmbH aus Hamburg, gegründet von Anne Lamp und Johanna Baare. Die beiden Frauen haben sich zum Ziel gesetzt, umweltschädliches Plastik durch eine neue Generation nachhaltiger, plastik- und giftstofffreier Biomaterialien auf Pflanzenbasis zu ersetzen. Anders als herkömmliche Kunststoffe kommen die natürlichen Biopolymere, die aus Pflanzenresten der Agrarindustrie hergestellt werden, ganz ohne toxische Zusatzstoffe aus und werden von Mikroorganismen in der Natur binnen weniger Wochen vollkommen zersetzt. So werden die aus dem traceless-Granulat hergestellten Produkte dem natürlichen Kreislauf wieder zugeführt – klimafreundlich, ressourcenschonend und frei von fossilen Energieträgern. Entwickelt hat das traceless-Verfahren Dr. Anne Lamp. Doch wie man ein Unternehmen gründet und ein wissenschaftliches Projekt in ein kommerzielles Produkt verwandelt, das war für die Verfahrenstechnikerin zunächst Neuland.
Ja, Frau Dr. Lamp, wie wurde denn aus der Wissenschaftlerin eine Unternehmerin?
Ich glaube, das Wichtigste ganz am Anfang ist, dass man nicht nur das technische Potenzial erkennt, sondern auch eine wahnsinnige Motivation dahinter entwickelt, daraus etwas Großes zu machen. Die Vision ist das, was als Erstes stehen muss, die Vision: Was kann dieses Produkt, dieser Prozess, diese Neuheit bewirken? Weil nur dann hat man eben auch die Kraft, das Ganze umzusetzen in ein Unternehmen. Und diese Vision dahinter: „Was kann das bewirken?“, dieses neuartige Verfahren, dieses neuartige Material, das in meinem Fall … da lag das Fundament noch ganz woanders, und zwar in einem Ehrenamt, was ich nebenbei noch gemacht hatte, und zwar im Bereich der Cradle to Cradle NGO. Das heißt, das ist ein Verfahren, Produkte so zu gestalten, dass sie wirklich kreislauffähig sind. Das war so die Motivation, die mich sowieso schon antrieb, mein ganzes Verfahrenstechnikerinnendasein zu leben. Und dann kam eben dazu diese technische Innovation, die ein wahnsinniges Potenzial aufgezeigt hat, die mir dann aber auch eben mit diesem Hintergrund der ganzheitlichen Kreisläufe, der wirklich geschlossenen Kreisläufe, wo ich daraus eine Vision entwickelt habe: Das kann eine Lösung sein, um wirklich in bestimmten Bereichen Produkte, die heute absolut nicht kreislauffähig sind, die zu den Umweltschäden führen, die wir heute kennen … da eine Lösung zu bieten, eben für viele kreislauffähige Produkte. Und das ist, glaube ich, so die Grundvoraussetzung, dass man eine Vision entwickelt neben der technischen oder neben der Produktinnovation.
Ging das dann sofort los oder haben Sie noch Hilfe gebraucht, aus Ihrem Verfahren ein Produkt zu machen und ein Unternehmen zu gründen?
Ja, am Ende ist für eine Wissenschaftlerin, die ich damals ja noch war, rein auf die Technik fokussiert, ist der Weg in das Unternehmertum jetzt kein Weg, der glasklar auf der Hand liegt. Also gerade im Bereich des Ingenieurwesens, im Bereich der Wissenschaft ist der Schritt in die Selbstständigkeit, in das Gründen eines Unternehmens überhaupt nicht vorprogrammiert. Das ist eher etwas, das einem fremd erscheint als Wissenschaftlerin oder Wissenschaftler, weil die KPIs, die Wissenschaftler_innen haben, sind Veröffentlichungen, vielleicht noch mal Patente, aber das war es eigentlich. Und darüber hinauszudenken und das Potenzial sozusagen auch in die kommerzielle Ebene weiterzudenken, das wird nicht wirklich gelehrt, weder in den Universitäten für Studierende noch in der Wissenschaft selber. Und deshalb braucht es externe Faktoren. Also es brauchte externe Impulse, die dann mich dazu gebracht haben, das Ganze nicht nur als eine interessante wissenschaftliche Arbeit oder einen interessanten wissenschaftlichen Prozess anzuschauen, den man ja im Labor noch fleißig weiterentwickeln kann einfach so nebenbei; sondern es brauchte eben diese externen Impulse, die gesagt haben: „Ja, aber das kann man kommerzialisieren, daraus kann man ein Unternehmen gründen“. Und diese externen Impulse, die gab es eben eigentlich nur außerhalb der Wissenschaft und außerhalb der, ja, ich sage mal, Ingenieurs-Bubble, in der man sich so befindet, weil dort eigentlich die Ausbildung, wie wir sie heute genießen dürfen, hier in Deutschland sehr klar in Richtung Großunternehmen geht, also als Verfahrenstechniker_innen – der Schritt in die Selbstständigkeit ist einer, der eher unüblich ist. Und diese externen Impulse waren eben die, dass man sich vernetzt hat, dass man sich in Start-up-Kreise reinbewegt hat, in Gründungsunterstützung reinbewegt hat und dort eben die Ideen bekommen hat und auch den Mut bekommen hat, dass das eben auch ein Weg sein kann, das wirklich als ein eigenes Unternehmen zu kommerzialisieren.
Sie sagen immer „man“, aber Sie sprechen von sich.
Genau, ja. Ich transferiere das schon auf andere, die bestimmt ähnliche Probleme haben oder ähnliche Herausforderungen haben im Bereich der technischen Wissenschaft, weil eben dieser Schritt einfach ein ganz, ganz neuer ist. Es ist ein Schritt, dem man nicht in seinem Alltagsleben als Wissenschaftler_in oder Ingenieur_in, dem man viel begegnet, sondern man hat mit dieser Welt des Entrepreneurship eigentlich gar keine Berührungspunkte – es sei denn, man macht sich aktiv eben auf den Weg, zu solchen Netzwerktreffen zu gehen, zu … ja, mal Kontakt aufzunehmen mit anderen Gründer_innen in der Stadt, mit Gründungsunterstützung, die es ja auch viel gibt. Und dann kommt man eben da langsam rein.
In den USA scheint mir das ganz anders zu sein. Da werden auch viel mehr Unternehmen gegründet. Haben Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen hierzulande schlechtere Voraussetzungen oder weniger Mut?
Ich glaube, das Wort „Mut“ ist wichtig. In Deutschland herrscht so ein bisschen der Sicherheitsgedanke vor, gerade in Ingenieurswissenschaften zum Beispiel. Da geht man eher dreimal auf Nummer sicher, als dass man ein Risiko eingeht. Und das lässt sich vielleicht auch übertragen auf den Mut, einfach mal was zu riskieren und ein Unternehmen zu gründen. Und in den USA ist es eben tatsächlich so, dass dort eben viel risikobereiter auch mal dieser Schritt gegangen wird, es zu versuchen, ein eigenes Unternehmen zu gründen. Und es hat natürlich auch große Risiken. Also es ist ja nicht nur so, dass dann die Vorteile überwiegen, es gibt natürlich auch ein Risiko dabei. Aber wir müssen viel, viel, viel mehr diesen Risikoschritt gehen; auch eben in vielen technischen Bereichen müssen eben viel mehr Wissenschaftler_innen und Ingenieur_innen diesen Schritt gehen, weil wir eben diese Innovation brauchen, auch in diesem Land.
Jetzt sind Sie diesen Schritt gegangen. Aber wie sind Sie bei der Gründung vorgegangen? Haben Sie mit dem traceless-Verfahren erst Kunden oder erst Investoren gesucht?
Es fing damit an, dass ich, als ich noch … dass das Unternehmen noch gar nicht gegründet war, schon erste Anfragen bekommen habe zu dem Produkt, zu dem, was man damit machen kann, zu dem, wie es gegebenenfalls angewendet werden kann von diesen Unternehmen. Und dort ist … dann ist auch so ein bisschen die Initialzündung gekommen: „Ach, da ist schon was dahinter“ – denn das ist natürlich eine Grundvoraussetzung, dass man so was kommerzialisiert, dass da ein kommerzielles Interesse hinter ist. Und das ist so ein bisschen auf mich zugekommen. Ich hab jetzt nicht aktiv im Markt gesucht: „Hat jemand daran Interesse?“, sondern das ist ein bisschen, ja, auf mich zugekommen. Und dann fing die Überlegung an, eben daraus ein Start-up zu gründen. Und das Erste, was ich dann gemacht habe, ist eben, mich zu informieren, mir diese Netzwerke aufzubauen. Das ist was ganz, ganz Wichtiges, dass man eben überhaupt erst mal sich informiert: Wie geht das: Start-up gründen, Unternehmen gründen, ein Team aufbauen? Wie geht das? Gerade wenn man aus dem technischen Bereich kommt, dann wird das eben … ja, hat man nicht schon ganz viele Vorlesungen dazu gehört oder Praxisbeispiele dazu gemacht. Und diese Netzwerke sind vor allen Dingen auch total inspirierend, weil eben es viele Programme gibt, wo eben auch andere, die gründen wollen, sich zusammentun und dann gemeinsam diese ganzen Herausforderungen, die alle haben, gemeinsam lösen können.
Und das Zweite war, nach dem Informieren kam sozusagen der nächste Schritt natürlich: die ganze Vorbereitung, also Geschäftsmodell entwickeln, Team aufbauen, zu gucken: Wer passt da ins Team? Und da habe ich auch in meinem Fall einfach mal die Arme aufgemacht und in meinem Bekanntenkreis, Netzwerkkreis einfach mal rumgefragt: „Habt ihr Lust, mitzumachen? Ich weiß noch nicht, wo diese Reise hingeht, aber wenn es klappt, dann wird es was ganz, ganz Großes.“ Und so habe ich ganz am Anfang schon ganz, ganz tolle Leute da zusammengeschart um dieses Thema – und in dem Zuge auch meine jetzige Mitgründerin Johanna Baare kennengelernt. Wir haben uns kennengelernt über ein Inkubator-Programm. Das ist ein Programm, wo sich eben genau solche Leute mit Frühphasen-Ideen treffen, austauschen. Und dort haben wir uns kennengelernt und dann eben auch einige Zeit später entschieden, dass wir zusammen gründen wollen. Und das ist eben auch der weitere ganz wichtige Schritt auf der Vorbereitungsliste zum Start-up-Gründen: eine Mitgründerin oder einen Mitgründer, weil alleine hält man das nicht durch. Das ist ganz, ganz wichtig und wir haben uns da als ein sehr, sehr gutes Team gefunden. Wir sind sehr komplementär in dem, was wir mitbringen. Es muss einfach klar sein: Das ist wie eine Hochzeit, die Mitgründerin und der Mitgründer – das muss einfach sehr, sehr gut passen.
Ich höre raus, Sie hätten ohne Ihre Co-Gründerin Johanna Baare nicht gegründet.
Ich hätte gegründet, aber wahrscheinlich, wenn ich nicht mit ihr gegründet hätte, dann wäre mir früher oder später schon klar gewesen, dass ich es mit irgendwem machen muss. Also das Alleine-Gründen, da hatte ich dann irgendwann schon ganz klar für mich gesagt: „Das geht nicht, das mache ich nicht!“ Im Endeffekt sind es ja auch verschiedene Expertisen, die man braucht. Man kann ja nicht alles wissen und deshalb hätte ich das schon gemacht. Aber es ist jetzt ein toller Fit so, und ich bin froh, dass wir uns kennengelernt haben.
Sie sagen „ein toller Fit“, Sie haben komplementäre Eigenschaften, Sie haben auch völlig unterschiedliche Hintergründe. Wie ergänzen Sie sich denn? Ist es hilfreich oder ist es eben auch manchmal hinderlich, dass Sie völlig unterschiedliche Hintergründe haben?
Wir ergänzen uns sehr komplementär. Das bedeutet natürlich: Ich kam aus der Technik, aus der Wissenschaft, auch aus dem Impact, also dem Berechnen der Umwelteinflüsse usw.; und sie kommt eben aus der wirtschaftlichen, kaufmännischen … aus dem kaufmännischen Bereich. Und deshalb: Inhaltlich haben wir fast keine überlappenden Expertisen mitgebracht. Das war sehr, sehr gut und das kann ich auch nur empfehlen, dass man das so macht, weil ganz klar ist, bei welchen Themen wer zuständig ist. Da braucht man gar nicht zu definieren: „Du übernimmst den Bereich, du übernimmst den Bereich“; das kommt dann ganz intuitiv, weil die andere dann doch da die Expertise hat. Und das Wertvollste daran ist aber eigentlich – auch jetzt schon weitergedacht, wenn man dann gegründet hat und schon mittendrin ist in dieser ganzen Reise–: Es gibt ja immer auch Rückschläge. Und wenn dann solche Rückschläge kommen, dann ist der- oder diejenige, dessen Bereich das betrifft, natürlich da auch mehr betroffen oder auch schnell auch dann emotional betroffen, und die andere ist da sehr weit weg. Das heißt, wenn im technischen Bereich ein Rückschlag stattfindet, dann denke ich mir manchmal: „Ich weiß nicht mehr, wo Kopf und Fuß ist“, und Johanna ist da eben sehr weit weg und kann dann sagen: „Ey, das schaffen wir schon, das haben wir in den letzten Malen auch immer geschafft! Da sehe ich gar kein Problem, das kriegen wir schon alles wieder hin.“ Und dann ist es auch so und ein paar Wochen später ist es wieder geklärt. Und umgekehrt ist es eben auch bei den Themen, wo sie näher dran ist, so, dass ich da den ruhigeren Kopf behalten kann.
Und haben Sie dann manchmal auch Differenzen, zum Beispiel über die geschäftliche Ausrichtung?
So was gehört zum Alltag immer dazu. Und ich glaube, es ist superwichtig, dass man diese Differenzen dann auch ausspricht. Und es gibt schon auch natürlich viel kontroverse Diskussionen. Die sind aber nötig, weil: Das hat von uns keiner schon mal gemacht so, traceless hat noch keiner gegründet und es ist alles neu. Und die richtigen Entscheidungen, die liegen ja nicht schwarz oder weiß auf der Hand. Und deshalb braucht es eben auch diese Reibung, braucht es auch dieses Hin- und Herziehen manchmal in verschiedene Richtungen, um dann auszuloten: Wo ist jetzt hier die richtige Richtung? Meistens finden wir dann dadurch den besten Mittelweg.
Jetzt wenden wir uns mal dem traceless-Verfahren zu. Das war am Anfang ja ein von Ihnen entwickeltes Verfahren, das Sie sich auch patentieren haben lassen. Aber es war im Grunde genommen ein Versuchsaufbau im Labor. Wie macht man daraus ein skalierbares, ein marktfähiges Produkt? Wie haben Sie das gemacht?
Ja, also genau, das kann ich jetzt nicht verallgemeinern. Da geht es … in unserem Fall war das so, unsere Prozessinnovation ist ja wirklich, ja … dahinter steckt die Verfahrenstechnik. Also wie kommen wir von diesem Reststoff, von diesem Ausgangsmaterial zu unserem Produkt, dem Granulat, das Kunststoffe dann ersetzen kann? Und das Verfahren, das wurde entwickelt, in unserem Fall im Labormaßstab, in ganz Klein. Und wenn Dinge im Labor funktionieren, dann heißt das eben noch gar nicht, dass sie dann auch in Groß funktionieren. Und das Erste ist natürlich, dann zu gucken:Was ist die technische Skalierbarkeit, also ist das skalierbar auf technischer Ebene? Das heißt, man guckt sich an, welche Apparate muss man da eigentlich nutzen, wenn man … Das kann man sich vorstellen, wie wenn man Kuchen backt: Im Kleinen geht das gut im Mixer und in der Kuchenform. Aber wenn man jetzt mal 500 Kilo Kuchen herstellen möchte, dann ist es halt nicht so klug, da 500 Öfen nebeneinanderzustellen, sondern vielleicht braucht man dann eine andere Art von Ofen und vielleicht auch eine andere Art von Mixer. Das sind so die ersten Dinge, die man testet, und die werden eben auch viel im Labormaßstab gemacht.
Das Zweite und Wichtigere fast noch ist aber dann zu gucken, wie das Ganze sich rentiert und wie teuer das Ganze wird, wenn es dann eben skaliert wird. Das ist eine Voraussetzung für jede Skalierung von einem technischen Verfahren: die sogenannte techno-ökonomische Analyse. Also man guckt sich an: Wenn das Ganze dann hochskaliert ist auf verschiedene Maßstäbe, also in bestimmten Mengen hochskaliert ist: Wie teuer wird das? – Das ist ganz, ganz wichtig, weil am Ende bringen wir unser Produkt ja in den Kunststoffmarkt. Der Kunststoffmarkt ist einer der umkämpftesten Märkte, also preislich, den man sich nur so vorstellen kann. Und dort zählt eben der Preis. Und deshalb kann man nur Erfolg haben, wenn man ein Produkt produziert, was wirklich auch konkurrenzfähig ist. Und das ist am Anfang eben ein ganz wichtiger Punkt gewesen, diese Analyse ganz dezidiert durchzuführen.
Das dritte Wichtige ist daraus – und das ist für uns aber persönlich wichtig, für unser Start-up als ein Impact-Start-up –, dass man eben auch eine Ökobilanz macht von dem Ganzen. Also nicht nur: Was kann das Verfahren, wenn es dann in Groß irgendwann irgendwo steht und produziert, an ökonomischem Erfolg eben generieren, sondern auch an ökologischem Erfolg? Also was ist besser an dem Produkt oder dem Verfahren im Vergleich zum Status quo? Und das würde ich auch jedem empfehlen, weil am Ende, gerade wenn wir in diesen Zeiten neue Produkte oder neue Prozesse auf den Markt bringen, in Form von Start-ups gründen, groß machen, skalieren, dann müssen das Produkte und Prozesse sein, die signifikant besser sind als der Status quo.
Gehen wir noch mal ganz kurz an dieser Stelle auf die Ökobilanzierung ein. Sie haben die selber gemacht. Warum?
Die ganz erste Version der Ökobilanz, die habe ich selber berechnet. Das war natürlich noch keine sehr detaillierte Ökobilanz. Ich selber habe am Umweltinstitut promoviert und sehr viel mich mit Ökobilanzen beschäftigt gehabt. Das kann natürlich jetzt nicht jeder, der ein Start-up gründet, das ist völlig klar. Aber eine vollständige Ökobilanz kostet eben auch ganz schön viel Geld. Das heißt, das ist auch natürlich schwierig, dann schon von ganz von Anfang an – man kennt ja auch teilweise seine konkreten Massenbilanzen noch nicht so ganz – eine richtige Ökobilanz zu machen. Und da gibt es aber auch viele Förderungen; da muss man sich dann mal informieren, dass man solche Berechnungen dann zumindest gefördert bekommt, wenn man sie von extern macht.
Ja, Plastik ist ja das große Problem unserer Zeit. Eigentlich müsste der Markt Ihnen doch dieses Produkt aus den Händen reißen. Also, welche Erfahrungen haben Sie anfangs gemacht?
Das war auch so, das wollten die gerne, die Kunden. Also der Markt ist in dem Fall … vor allen Dingen sind das die Marken, also die Eigenmarken, die Händler, die eben Kunststoffprodukte in Form von Verpackungen oder Einweg-, Plastik- oder Papierbeschichtungen auf den Markt bringen. Und die wollen natürlich weg vom Plastik, weil ihre Kund_innen, die Konsument_innen, die wollen das nicht mehr kaufen. Und wir kennen das glaube ich alle, also die Müllberge, die wir zu Hause in die Tonne schmeißen nach dem Einkauf, sind einfach gigantisch. Und deshalb wurden wir überrannt mit – oder werden wir auch immer noch überrannt mit Anfragen. Nun ist es aber so: Wir haben eben schon über die Skalierung gesprochen, also über die Vergrößerung der Produktionskapazitäten. Als wir gegründet hatten, war das Verfahren immer noch im Labormaßstab. Das bedeutet, wir konnten ein paar Kilo herstellen, das war schon viel, aber mehr auch nicht. Und das bringt natürlich den Kunden gar nichts. Momentan können wir den Kunden noch nicht in Großmengen beliefern. Und deshalb war auch ganz klar: Okay, die Nachfrage ist da, jetzt müssen wir liefern. Wie können wir liefern? Wir müssen eben ganz schnell groß werden. Wir müssen die Produktionskapazitäten ganz schnell erhöhen. Deshalb haben wir auch als Erstes eben sehr, sehr schnell gesagt: Wir bauen selber Anlagen. Es ist für ein Start-up ein recht ungewöhnlicher Weg, weil selbst Anlagen zu bauen bedeutet: Du brauchst natürlich sehr viel Expertise inhouse, um solche Anlagen zu planen, zu bauen, zu betreiben, bist am Ende auch noch Produzent und betreibst Anlagen. Das ist halt ein weiterer Geschäftsbereich, den man hat im Vergleich zu anderen Start-ups. Aber das war der schnellste Weg, um die Produktionskapazitäten zu erhöhen. Und das machen wir jetzt weiter in der nächstgrößeren Anlage – eine erste Anlage steht und produziert jetzt seit einem Jahr –, und das machen wir jetzt weiter, planen sozusagen jetzt die nächste Ausbaustufe, die dann in ein bis zwei Jahren eben live gehen soll, um dann wirklich Mengen zu produzieren, die dann auch Kunden wirklich in signifikanten Mengen beliefern. Aber es braucht diesen Weg der technischen Skalierung, weil: Auch wenn wir zum Kuchenbeispiel zurückgehen, wenn man sich jetzt von heute auf morgen außer ein Kilo Kuchen bis hin zu 20 Tonnen Kuchen das skalieren würde, das würde man sich auch nicht in einem Schritt trauen. Da braucht man ein paar Zwischenschritte und ein paar Tests, die man vorher macht, bevor man so viel Geld auf den Tisch legt, um so eine Riesenanlage mit 500 Backöfen zum Beispiel zu kaufen.
Bei dem Versuch, das traceless-Verfahren jetzt auf marktfähige Produkte zu übertragen und zu skalieren, gab es da auch Rückschläge oder wussten Sie von Anfang an, wir gehen in die Richtung? Mussten Sie vielleicht noch einmal den Weg komplett ändern und von vorne anfangen?
Auf jeden Fall. Wir haben angefangen mit einem Verfahren, das eben in einer bestimmten Weise aussah, und haben natürlich in der Arbeit der Skalierung jeden Tag Rückschläge. Also man testet dann … man hat irgendwann noch ein Problem oder man merkt: „Hier ist noch was, funktioniert was noch nicht“, und dann macht man sich einen Plan mit zehn Maßnahmen, die man testen will, die vielleicht das Problem heben könnten. Dann funktionieren davon zehn nicht. Und dann muss man nächsten Tag sich wieder hinsetzen und überlegen: Okay, welche anderen Ideen haben wir denn noch, um dieses Problem zu lösen? Und das passiert an jedem einzelnen Tag. Wer in der Wissenschaft arbeitet zum Beispiel, der weiß ganz genau, wovon ich spreche. Am Ende besteht die Arbeit eigentlich aus Rückschlägen, um daraus dann irgendwann einen sehr massiven Fortschritt zu generieren. Und wir haben auch am Anfang noch gar nicht gewusst: Wo liegen denn die ganzen Lösungen? Das heißt, wir haben dieses Unternehmen gegründet, wo noch viele – auch technische – Fragen offen waren. Das muss man, da muss man den Mut haben, den Wissenschaftler-Kopf kurz abzuschalten und sich zu trauen, auch wenn noch nicht alles hundertprozentig klar ist, diesen Weg zu starten. Weil: Das ist ja ein Henne-Ei-Problem. Wenn man ihn nicht startet, dann wird man diese Probleme auch nie lösen können, weil man nicht die Mittel hat und weil man nicht das Team hat usw. Und so gibt es auch jetzt noch Dinge, die wissen wir noch nicht, wie wir die lösen. Am Ende kann unser Material ja auch in sehr, sehr, sehr vielen Anwendungen angewendet werden. Aber in einigen gibt es natürlich auch noch Hürden, die wir noch nicht wissen, wie wir sie lösen können. Aber ich glaube, das Wichtigste dabei ist der Glaube daran, dass es klappen wird in irgendeiner Weise und das haben wir von Anfang an gehabt. Und so haben wir ein Material entwickelt, das eben sich so verhält wie Kunststoff und ebenso verarbeitet werden kann wie Kunststoff auf Kunststoffverarbeitungsmaschinen. Und das war am Anfang noch gar nicht alles so ganz glasklar.
Sie sprachen von der Expertise, die man dafür braucht. Aber sie sagten auch, es ist kostspielig. Also ich frage mich, wie Sie als Start-up in der Lage sind, Anlagen selber zu bauen und das auch zu finanzieren.
Ja, und das ist auch etwas … das ist eine Riesenherausforderung. Und das ist auch nicht einfach. Und wir haben die erste Anlage gebaut – vor zwei Jahren war … haben wir Baubeginn gehabt. Und die haben wir … dazu haben wir eben eine erste Finanzierungsrunde gedreht, also eine sogenannte Seed-Finanzierung. Das war ein halbes Jahr nach der Gründung schon, haben wir also schon das erste Geld aufgenommen. Und andere Start-ups in dieser Phase, die nehmen Geld auf, um erst mal auch das Team zu erweitern, um mit dem Geld vor allen Dingen das Know-how der Firma zu erhöhen und nicht das sofort in Stahl und Beton zu stecken. Und wir haben einen Großteil dieses Geldes, das wir aufgenommen haben, direkt in Stahl und Beton gesteckt. Und das ist sehr ungewöhnlich, weil wir natürlich dadurch nicht mehr so viel Geld wie andere übrig hatten für das Team und für den Know-how-Aufbau. Und das bedeutete, dass wir echt sehr, sehr stark auf Kosteneffizienz getrimmt waren, auf … wir haben eben sehr viele kreative Lösungen gefunden, wie man eben Kosten spart, und haben es dadurch eben hingekriegt trotz der großen Investitionssummen, die wir damals hatten, diese Anlage zu bauen. Und das war eben auch möglich durch Unterstützung von Fördermitteln. In so einer Frühphasen-Phase ist das alles noch recht eher einfacher möglich, auch wenn natürlich diese Investitionen in Stahl und Beton schon was sind, was andere Start-ups nicht haben.
Und interessant wird es dann in der nächsten Stufe – in der befinden wir uns gerade –, in der dann eben noch mal Geld aufgenommen wird für die nächste Ausbaustufe. Wenn man in den Backöfen denkt, dann ist ein Backofen auch deutlich billiger als 50 Backöfen für den Riesen-Kuchenbetrieb. Und so ist es natürlich auch mit den Investitionen, die jetzt nötig sind für die nächste Anlage. Der Faktor, der Skalierungsfaktor – also der Multiplikator, der auch Test ist von der Produktionsmenge –, der ist eben Faktor 1.000 ungefähr. Also das ist schon substanziell eine größere Anlage, und dementsprechend sind eben auch die Investitionssummen deutlich höher.
Sie sagen Gelder aufnehmen, Sie sprachen aber auch von Seed-Phase. Haben Sie Kredite aufgenommen? Haben Sie Förderkredite in Anspruch genommen oder haben Sie das nur durch den Einstieg von Investoren gelöst? Und wie ging diese Investorensuche vonstatten?
In der ersten Investitionsrunde vor zwei Jahren, da ging es relativ schnell. Wir haben sehr viele Anfragen bekommen von Investoren, weil gerade in dem Feld Green Tech, Impact, Start-ups, da ist eben wahnsinnig viel Fokus drauf im Moment. Das heißt, die … diese Seed-Runde, also die erste Finanzierungsrunde, da kamen viele auf uns zu und das ging auch relativ schnell. Das ist aber auch grundsätzlich so, dass die erste Frühphasenfinanzierung natürlich einfacher ist als dann die Wachstumsfinanzierung. Wichtig ist da die Komponente, die Zusatzkomponente der Förderung. Also wir haben eine große EU-Förderung bekommen, den European Innovation Council Accelerator, und der hat sozusagen dann möglich gemacht, dass wir das Team auch noch mal substanziell haben erweitern können Und durch diese Kombination aus Investoren und Fördermitteln haben wir sozusagen diesen Aufbau geschafft, wo wir – bis zum jetzigen Stadium –, wo wir jetzt sind.
Und Sie haben Investoren mit an Bord geholt, darunter den Impact-Investor Planet A, und den High-Tech Gründerfonds, HTGF, beide im Portfolio der KfW Capital. Warum haben Sie sich für diese entschieden?
Also wir sind ja ein Impact-Start-up. So nennen wir uns auch, weil der Impact, den wir kreieren können, in unserer DNA liegt. Unsere Vision mit dem, was wir tun, einen wirklichen Einfluss auf die Plastikverschmutzung generieren zu können, das ist wirklich in der DNA dieser Firma drin. Das heißt, das Ziel ist die Maximierung des Impacts als Nummer eins. Und das geht in diesem Fall auch einher mit der Maximierung des Umsatzes. Aber in dem Fall ist es uns ganz, ganz wichtig, dass die Investoren, die wir an Bord holen, eben diese Mission mittragen. Also es gibt natürlich auch die Investoren, die da nicht so dezidiert darauf achten, wie denn der Impact genau gemessen wird von den Start-ups. Und für mich war ganz, ganz wichtig, dass das ernsthaft gemessen wird, was diese Start-ups eben für einen Impact generieren. Weil nur so können wir irgendwas ändern in dieser Welt, wenn das wirklich messbar einen positiven Effekt auf die Umwelt hat, was eben dieses neue Verfahren oder dieses neue Produkt, was die Start-ups skalieren wollen, generiert.
Und diese Investoren sehen natürlich auch das finanzielle Potenzial ihrer Investition in traceless. Haben Sie dieses finanzielle Potenzial auch von Anfang an gesehen?
Als ich diese Firma gegründet habe, da war mir das finanzielle Potenzial, ehrlich gesagt, noch überhaupt nicht so bewusst. Ich habe vor allen Dingen gesehen, was das Material eben für einen Impact generieren kann. Dass mit jeder verkauften Tonne traceless am Ende eine Tonne Kunststoff ersetzt wird, die potenziell in die Umwelt gelangen kann, das war für mich der Driver und der ist es auch immer noch. Aber es hat einige Zeit gedauert, bis natürlich auch klar war: Ja, gut, wenn wir dann ganz, ganz, ganz groß werden und jede Tonne traceless eine Tonne Plastik ersetzt, dann generiert natürlich auch eine Tonne traceless Umsatz und das heißt, diese … das Wachstum des Unternehmens, das ökonomische Wachstum und das ökologische Wachstum, geht in diesem Fall eben zusammen. Und das ist auch natürlich der Schlüssel für Impact-Start-ups, um am Ende Geld zu bekommen, weil die Impact-VCs dann genau natürlich solche Fälle sehen und fördern wollen oder da reininvestieren wollen, wo dieser ökologische und der ökonomische Impact Hand in Hand gehen. Und das ist aber für mich erst im zweiten Schritt so richtig realisiert worden, als dann eben auch die erste Finanzierungsrunde kam.
Welchen Tipp können Sie den anderen geben, die „grün“ gründen möchten? Was sollten diese von Anfang an beachten?
Ja, wir brauchen wirklich jetzt Lösungen. Ich meine, man muss ja nicht mehr in die Zeitungen gucken, um zu wissen, dass wirklich sehr, sehr viele negative Veränderungen kommen in der Zukunft oder jetzt auch schon da sind, wenn wir das mal so zusammenfassen. Das heißt, wir brauchen ganz dringend Lösungen. Wir brauchen auch viel, viel mehr Gründungen, neue Innovationen. Aber jede einzelne neue Gründung, jede einzelne neue Innovation, die jetzt entwickelt wird, die muss signifikant was verbessern zum Status quo – in Bezug auf Klimaeffekt, in Bezug auf Ressourcennutzung, Wassernutzung, Ressourcenverbrauch, aber eben auch Abfallvermeidung, Kreislaufwirtschaft. Das heißt, ich würde jedem Gründer, jeder Gründerin ans Herz legen, wirklich das Produkt oder den Prozess auf Herz und Nieren zu prüfen im Bereich der Umwelteffekte durch eben so eine sogenannte Ökobilanz – die man auch gut mit externen Partnern durchführen kann, wo es, wie gesagt, auch einige Förderungen gibt für, dass man das Ganze nicht selber stemmen muss.
Sie sagten vorhin, Sie haben in Ihrem Netzwerk herumgefragt, wer denn bei dieser Reise, von der Sie noch nicht wissen, wo sie hingeht, mitmachen möchte. Und Sie haben viel der Gelder, die Sie durch Investoren bekommen haben, in Stahl und Beton gesteckt. Wie haben Sie denn dann die passenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gefunden und auch bezahlen können?
Ja, am Anfang habe ich die Arme aufgemacht und gefragt: „Wer hat Lust, hier mitzumachen?“, in meinem Netzwerk von ganz, ganz tollen Leuten. Es war auch Anfang Corona-Zeit. Das war natürlich auch irgendwie so eine Umbruchzeit für viele, die sich neu orientieren wollten, gemerkt haben: „Was mache ich hier eigentlich in meinem Job?“. Also vielleicht war das auch gutes Timing. Aber es waren wahnsinnig viele tolle Leute, die ganz am Anfang mit ihre Ideen und ihre Zeit reingegeben haben, ohne bezahlt zu werden. Wir hatten ja kein Geld. Wie gesagt, ein halbes Jahr nach Gründung haben wir erst die erste Finanzierungsrunde gedreht. Das heißt, das erste Jahr quasi waren … peu à peu kamen mehr Leute dazu und die haben einfach mal mitgemacht, um zu gucken, wo die Reise hingeht. Dann haben wir tatsächlich auch gegründet. Und dann kamen auch erste Mitarbeiter dazu, die auch am Anfang teilweise wirklich noch gar kein Geld gekriegt haben, am Anfang teilweise mit der Aussage: „Wir werden jetzt Investoren reinholen und wir sind fest davon überzeugt, dass wir es schaffen. Wir können es aber nicht garantieren. Aber wäre richtig cool, wenn du trotzdem anfängst.“ Und seit dem Zeitpunkt, wo wir dann wirklich Gehälter zahlen konnten, war das natürlich dann auch ein bisschen einfacher, Mitarbeiter_innen zu finden. Hat sich auch bestätigt. Wir haben jetzt ein Team von 32 Leuten, und die sind wirklich alle getrieben hinter dem Impact, den wir generieren können. Das macht echt sehr viel Spaß.
Ging das denn in der Anfangsphase immer reibungslos vonstatten? Sie sind ja bei Ehrenamtlichen auch ein Stück weit davon abhängig, wie bereit und verfügbar die sind.
Ja, und man konnte natürlich jetzt nicht auf die bauen, von wegen „Liefere mir das bis Freitag“, das geht natürlich nicht. Das heißt, es war immer schon ein Verhältnis von „Mach so viel du kannst, ich vertraue dir, dass du, wenn ich dir die Aufgabe gebe, mir sagst, wenn du keine Zeit mehr hast“. Und natürlich war das sehr, sehr viel Improvisation. Also wir hatten jetzt noch kein Team, wo wir die Aufgaben einfach verteilen konnten und das war alles planbar, sondern es war gar nichts planbar. Aber anders ging es ja nicht. Das heißt sehr, sehr viel Improvisation. Das hat sich auch durchgezogen bis heute. Wir improvisieren immer noch.
Ja, ganz herzlichen Dank, Frau Dr. Lamp. An dieser Stelle würde ich gerne Ihre Businessüberzeugungen abfragen. Das machen wir in unserer Rubrik …
Was braucht es, damit aus einer wissenschaftlichen Idee ein markt- und wettbewerbsfähiges Produkt wird?
Es braucht zunächst auf jeden Fall den Markt, also Kunden, die das Produkt haben wollen. Dann braucht es Geld, um das Ganze zu skalieren. Und dann braucht es ein Team, das in der Lage ist, das Ganze ganz, ganz groß zu machen.
Wie wichtig ist der Impact-Gedanke bei Unternehmensgründungen?
Meine persönliche Antwort ist: Der ist ganz, ganz wichtig, weil wir uns es nicht mehr leisten können, neue Unternehmen zu gründen, die keinen signifikant positiven Impact auf die Umwelt haben. Wir können uns keine Bullshit-Unternehmen mehr leisten. Das heißt, wir brauchen ganz dringend, wenn wir neue Unternehmen gründen, Unternehmen, die einen positiven Impact auf die Umwelt haben, einen signifikant messbaren, positiven Impact, und nicht einfach weiter so machen.
Was können wir bei Produktidee und Entwicklung von der Natur lernen?
Ja, die Natur macht uns eine Sache ganz toll vor – und das ist ein Kreislauf. Es gibt den biologischen Kreislauf der Natur, der Produkte herstellt und sie nach dem Abfall wieder zu neuen Nährstoffen werden lässt. Und wenn wir alle Produkte so gestalten würden, wie die Natur es macht, entweder biologischer Kreislauf oder technischer Kreislauf, dann hätten wir keine Umweltverschmutzung mehr und keine Ressourcenausbeutung.
Werden wir künftig auch noch mit Plastik leben?
Auf jeden Fall. Plastik wird immer Teil unseres Lebens sein. Wir müssen nur anfangen, einen sehr, sehr intelligenten Umgang damit zu lernen. Und zwar das Plastik in vollständig geschlossenen Kreisläufen zu fahren.
Ganz herzlichen Dank, Frau Dr. Lamp. Bitte vervollständigen Sie folgende Sätze schnell und ohne nachzudenken. In meinem Job fasziniert mich am meisten …
… der Gestaltungsfreiraum, den man hat.
Die größte Hürde für mich als Wissenschaftlerin war …
… die Perfektion abzulegen, die ein Wissenschaftler, eine Wissenschaftlerin hat, immer alles erst bis 100 Prozent zu beweisen in Klein und dann damit rauszugehen. Wenn man nämlich ein Unternehmen gründet, ist ein bisschen umgekehrt. Man muss eben auch mal mutig sein, auch wenn es erst bei 90 Prozent ist, rauszugehen und zu sagen: Das ist mein Produkt.
Mein wichtigstes nächstes Ziel ist …
… der Bau der nächsten Anlage, damit wir endlich erste Kunden in großen Mengen bedienen können.
An meiner Mitgründerin Johanna Baare schätze ich insbesondere …
… ihr wahnsinniges Commitment und ihren Drive hinter der Idee schon von Tag eins an, der uns eben hierhin gebracht hat, uns zusammen als Team.
Vielen Dank, Frau Dr. Lamp. Viel Erfolg mit traceless materials, einer neuen Generation plastikfreier Biomaterialien, die spurlos verschwinden, aber gerade deswegen eine große Wirkung auf unseren Planeten haben könnten. Viele Grüße auch an Ihre Co-Gründerin Johanna Baare und Ihr ganzes Team.
Vielen Dank ebenfalls.
In der kommenden Folge stellen wir Hunter vor, einen Hersteller von Tierbedarf aus Bielefeld. Das Familienunternehmen wird bereits in zweiter Generation geführt und soll nun nach Willen der Inhaberin und Gründertochter mit neuen Leadership-Prinzipien und digitalen agilen Arbeitsmethoden einen großen Schritt nach vorne machen. Mehr über Hindernisse und Widerstände in alteingesessenen Familienunternehmen auf dem Weg ins digitale Zeitalter hören Sie nächstes Mal bei „Ungeschönt“.
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