Reifeprüfung: von der Schulbank zur Unternehmensgründung

Shownotes

Mit seinen Schulfächern konnte Pascal Lindemann meist nichts anfangen. Schon als Teenager entwickelte er lieber eine Roboterhand, die in gefährlichen Situationen Menschen ersetzen sollte. Mehrfach gewann er „Jugend forscht“-Wettbewerbe, doch kein Unternehmen wollte seine Roboterhand bauen. Ein Handchirurg schlug stattdessen vor, ein Handtherapiegerät zu entwickeln, um Therapeuten zu entlasten und Patienten bei der Genesung zu unterstützen. Mit seinem Schulfreund Dominic Libanio gründete Pascal Lindemann direkt nach dem Abitur die LIME medical GmbH, um die Therapiehand „Anyhand“ zu produzieren.

Wie mit Legosteinen alles begann, warum die beiden Abiturienten lieber Unternehmer als Studenten wurden und warum die Investorensuche oft auf den letzten Metern scheiterte, verrät die neue Folge von „Ungeschönt“ mit dem Schwerpunkt „Youngstars“, in dem wir junge Gründungen vorstellen.

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LIME medical GmbH: Anyhand

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KfW-Podcast „Ungeschönt“

LIME medical GmbH

mit Pascal Lindemann

Transkript

Viel wichtiger ist, erst mal zu verstehen, dass Gründen extrem hart ist. Dass man viele sehr große Steine im Weg hat, die beseitigt werden müssen. Und um das tun zu können, ist eigentlich ganz wichtig: Wie sehr will man es? Und die Gründer, die ich kenne, die auch wirklich erfolgreich sind, das sind eigentlich die, die sich gar nicht dann die Frage stellen: Habe ich jetzt einen Nachteil? Bin ich zu alt, bin ich zu jung? Da stellt sich die Frage gar nicht. Sondern wenn man es so sehr will, dann ist klar, dass man es tut.

Willkommen zurück zu „Ungeschönt“! Nach unserem Themenschwerpunkt „Ungeschönt Grün“ starten wir nun in eine neue Reihe „Ungeschönt Youngstars“ mit drei weiteren Folgen. Dabei geht es um sehr junge Gründerinnen und Gründer, die mitunter direkt von der Schulbank gegründet haben. Welche Hindernisse stellen sich den „Frischlingen“ in der Gründerszene? Welche Vor- und Nachteile hat es, jung zu gründen? Das beleuchten wir anhand der LIME medical GmbH, einem Medizintechnikhersteller aus Mainz. Die beiden Gründer Pascal Lindemann und Dominic Libanio haben ihr Unternehmen direkt nach dem Abitur gegründet.

Hallo, Herr Lindemann!

Hallo, Herr Thurm! Schön, dabei sein zu können!

Wie alt waren Sie eigentlich jetzt bei der Gründung der LIME medical GmbH?

Also wir waren 18, als wir nach dem Abi direkt das erste Büro angemietet haben; und in der Zeit, in der wir die GmbH gegründet haben, sind wir dann 19 geworden.

Sie haben aber weder Medizin noch Medizintechnik studiert. Und dennoch stellen Sie und Ihr Mitgründer ein Medizintechnikprodukt her. Ich würde jetzt natürlich gerne wissen, wie es dazu kam. Vorher aber gucken wir ganz kurz auf die LIME medical GmbH und ihr Produkt.

Schon als Schüler meldete Pascal Lindemann eine von ihm entwickelte Roboterhand zum Patent an, doch kein Unternehmen wollte das Gerät bauen. Handchirurg und „Gründervater“ Dr. Eric Hanke überzeugte Lindemann, stattdessen Therapiegeräte für Handgeschädigte zu entwickeln. Die „AnyHand“ war geboren. Gemeinsam mit seinem Schulfreund Dominic Libanio gründete Lindemann sechs Wochen nach dem Abitur das Unternehmen LIME medical GmbH. Das Ziel: das Handtherapiegerät der Zukunft zu bauen und mehr Therapiezeit für Therapeuten und Patienten zu ermöglichen. Heute hat die LIME medical GmbH bereits 15 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und vertreibt die AnyHand an Praxen, Kliniken und Patienten. Doch was genau kann die AnyHand?

Ja, Herr Lindemann, erklären Sie doch bitte kurz, wie die AnyHand funktioniert.

Die AnyHand ist ein Handtherapiegerät und dient dazu, Patienten nach einer Verletzung, Operation, nach einem Schlaganfall oder Patienten mit Arthrose oder Rheuma zusätzliche Therapiezeit zu ermöglichen. Denn die Herausforderung, die wir als Gesellschaft haben, ist, dass es immer mehr und mehr Patienten und Patientinnen gibt aufgrund des demografischen Wandels und wir gleichzeitig immer weniger Therapeuten und Therapeutinnen haben, da immer mehr Babyboomer jetzt in Rente gehen werden und gleichzeitig nicht genug über diese Ausbildung nachkommen. Und diese Lücke wollen wir eben füllen, indem wir dafür Technologie einsetzen und die Patientinnen und Patienten sowohl dann zu Hause als auch in Therapiepraxen und Kliniken eben zusätzliche Therapieeinheiten erfahren, die sie dann an einem Gerät machen und von unserer AnyHand dann im Prinzip bewegt und mobilisiert werden und dann an diesem Gerät Bewegungsübungen durchführen können.

Ja, wir haben schon gehört, der Grundstein für Ihre Leidenschaft zum Bauen und Konstruieren wurde schon in der Schulzeit gelegt. Sie haben mit Lego-Bausteinen angefangen, ist das richtig?

Ja, also ich hatte schon immer ein Faible für Lego-Technik, „Lego Mindstorms“ – damit kann man so aus Lego verschiedene, auch Robotiksysteme bauen –, und hatte dann im Prinzip zur 5. Klasse schon entdeckt, dass es eigentlich auch möglich ist, mit Elektronikbauteilen selber Platinen zu löten. Und da ging natürlich eine ganz neue Welt auf – wenn man dann entdeckt, dass man eigentlich auch mit 3D-Druck, mit Konstruktionen, mit Platinen, mit Elektronikteilen eigentlich viel komplexere Robotiksysteme selbst entwickeln kann. Und seitdem war das dann für mich wie, sag ich mal, Legos für Große, weil man die ganzen technologischen Möglichkeiten dafür nutzen kann.

Haben Sie schon als Fünftklässler Roboter gebaut? Oder wie muss ich mir das vorstellen?

Ja, ich hatte dann angefangen, im Rahmen von „Jugend forscht“-Projekten – was ein Schülerwettbewerb ist – zu tüfteln. Mein erstes Projekt war dann in der 5. Klasse eine Alarmanlage. Und hatte dann aber glaube ich schon in der 6. Klasse einen ersten Roboterarm entwickelt, der dann auch schon eine Mechanik hatte, Motoren, Sensoren, eine Elektronik, Programmierung dahinter, und habe dann früh angefangen, mir die Sachen selbst beizubringen, wie man das Ganze eben machen kann.

Also Sie haben sich das selber beigebracht. Oder wurde vielleicht auch Ihre unternehmerische Leidenschaft in der Schule schon irgendwie geweckt?

Also es gab bei uns eine „Jugend forscht AG“; und da hatten wir auch eine Lehrerin, die war extrem engagiert dabei, die Schülerinnen und Schüler zu motivieren, an solchen Projekten teilzunehmen. Und das war für mich definitiv ein Anstoß, auch zu den Wettbewerben zu gehen. Aber sie hatte eher den Schwerpunkt im Bereich Chemie. Von daher konnte sie mir jetzt fachlich nur begrenzt weiterhelfen und war eher, sage ich mal, die Begleitung, dass man überhaupt so ein Projekt auf die Beine stellt und auch die Disziplin hatte, da dranzubleiben eben. Und fachlich habe ich mir tatsächlich dann über YouTube-Videos, über Bücher et cetera, über Internetforen die ganzen Sachen dann selbst zusammengelesen.

Und wann haben Sie und Ihr Schulfreund Dominic Libanio dann den Entschluss gefasst „Wir werden Unternehmer“?

Das war einige „Jugend forscht“-Projekte und viele Jahre später, das war dann das vierte „Jugend forscht“-Projekt. Wir hatten letztlich zuerst eine Roboterhand entwickelt für den Einsatz in schwierigen Umgebungen, in der eigentlich Menschen notwendig sind, aber es für Menschen zu gefährlich ist, dass da eben ein Roboter interagieren kann. Und da war die Frage: Was macht man jetzt aus dieser Hand? So kamen wir an Dr. Hanke, den leitenden Handchirurgen der Uniklinik Mainz. Und der hat uns erklärt, dass jetzt vielleicht für eine Roboterhand er nicht den Anwendungsfall sieht. Aber dass es sehr sinnvoll wäre, ein Therapiegerät zu entwickeln, da es viele Patienten eben gibt, die mehr Therapiezeit benötigen, und es da keine sinnvolle Lösung dafür gibt. Und so hatten wir dann daraus ein Therapiegerät entwickelt, auch ein Patent sehr früh angemeldet und dann überlegt, inwiefern man vielleicht mit verschiedenen großen Unternehmen in eine Kooperation gehen kann, dass wir unser Patent vielleicht lizenzieren können, weil wir damals auch noch nicht wirklich die Möglichkeit, ein eigenes Unternehmen zu gründen, als zu realistisch eingeschätzt hatten. Und sind dann in Gespräche gegangen mit mehreren Firmen, die dann wiederum sehr stark technisch hinterfragt haben, ob das Produkt sich so überhaupt realisieren lässt, und da nicht wirklich dran geglaubt haben. Und dann war halt für uns die Option, wir legen das jetzt in die Schublade und das war ein nettes Projekt. Oder der einzige Weg, der dann eben übrig bleibt, um das zu realisieren, ist, dass wir sagen: Okay, wir geben uns einen Ruck und versuchen es eben selbst. Und dann hatten wir angefangen, uns zu informieren, was es eigentlich bedeutet, ein Unternehmen zu gründen, angefangen zu recherchieren, sind auf Veranstaltungen dazu gegangen. Und dann ist eben dieser Gedanke so langsam gewachsen und entstanden. Und über die Zeit immer hat sich das dann erhärtet.

Okay, aber zu dem Zeitpunkt waren Sie ja noch Schüler. Wie haben denn eigentlich Ihre Familien oder Ihre Mitschüler darauf reagiert, dass Sie jetzt ein Unternehmen gründen wollen?

Ich denke, wir wurden nicht wirklich ernst genommen. Mit einer gewissen Skepsis selbstverständlich, also gerade aufseiten der Mitschüler mit eigentlich sogar extrem viel Skepsis, ob das eine gute Idee ist. Bei unseren Eltern war es so, dass sie es am Anfang schon hinterfragt hatten, zumal zum Beispiel ich jetzt einen dualen Studienplatz hatte für eine gute Firma – was auch eigentlich so ein Stück weit der Traum meiner Eltern war, dass ich dann ein duales Studium mache, ein Einkommen habe und dann, sag ich mal, sicher und versorgt bin. Da hatten sie natürlich erst mal hinterfragt, ob jetzt dann eine Gründung Sinn macht. Und da hatten wir natürlich schon einige Male auch darüber gesprochen. Aber letztlich hatten meine Eltern auch von Anfang an gesagt: Du triffst die Entscheidung. Und hatten dann auch von Anfang an dahintergestanden – natürlich vielleicht ein Stück weit mit der Erwartungshaltung, dass sich nicht jeder sicher war, ob da jetzt was draus wird oder nicht. Aber man kann es ja mal probieren. Also es gab dann den einen Teil der Menschen, die gesagt haben: „Das ist eine total schwachsinnige Idee! Lasst es einfach sein!“ Und der andere Teil, der dann gesagt hat: „Ja, ihr könnt es ja mal probieren. Und wenn es nichts wird, könnt ihr ja immer noch was anderes machen.“ Aber dass jemand gesagt hat: „Probiert das, das wird ein großer Erfolg!“, das hatten wir eigentlich nicht.

Sie hatten ursprünglich eigentlich noch einen potenziellen dritten Mitgründer mit an Bord, der dann aber doch absprang. Hat das Ihre Pläne in irgendeiner Art und Weise beeinflusst oder verändert?

Das war tatsächlich eine extrem schwierige Situation, weil in dem „Jugend forscht“-Projekt waren wir zu dritt, in dem wir auch das Therapiegerät entwickelt haben, und wollten dann eigentlich auch zu dritt das Unternehmen gründen. Und das ist natürlich eine Phase von extremer Unsicherheit, wo man immer wieder am Reflektieren ist: Sollen wir das jetzt machen, sollen wir es nicht? Ist es der richtige Weg? Und es gab ja auch extrem viele Ungewissheiten in der Zukunft. Werden wir Investoren finden? Wie funktioniert die Zulassung als Medizinprodukt? Werden wir im Team auch können? Also extrem viele Fragezeichen. Und als dann eben unser dritter Kompagnon sich dafür entschlossen hat, dass er nicht daran glaubt und dass er eben ein Studium antreten möchte, war es für uns natürlich eine gigantische Demotivation, die uns dann auch erst mal sehr zum Zweifeln brachte. Also das war definitiv eine extrem schwere Phase. Dann haben wir eben da auch uns noch mal einiges an Gedanken gemacht und immer wieder reflektiert: Steht dahinter ein Businessplan, der Hand und Fuß hat? Macht die ganze Idee überhaupt Sinn? Hat das Produkt einen wesentlichen Vorteil? Wir kamen aber auch immer wieder dazu, dass das eigentlich eine Idee ist, die ein ziemliches Potenzial hat. Und es hat uns einfach nicht losgelassen. Und dementsprechend haben wir gesagt, wir ziehen es jetzt trotzdem durch. Das war einfach einmal ein Gedanke, der in uns platziert war. Und wenn es dann einmal Klick gemacht hat, dass man im Kopf verstanden hat, die Idee macht eigentlich Sinn, dann war das natürlich auch nichts, was man dann wieder loslassen kann.

Sie haben jetzt dann als zweiköpfiges Gründerteam diese Produktidee mit der Therapiehand weiterentwickelt und auch einen medizinischen Mentor erwähnt, Dr. Hanke. Aber wie geht man denn frisch von der Schule vor, wenn man ein Unternehmen gründen will? Gibt es da irgendwelche Informationsquellen oder Anlaufstellen, an die man sich wenden kann?

Es gibt sehr viele Informationsquellen. Ich glaube, dass ist auch das Wichtigste, was man erst einmal tun kann, dass in eigentlich sehr vielen Bereichen man das Rad nicht neu erfinden muss, sondern man sich ja an sehr vielen Best Practices orientieren kann. Allein was es an Büchern gibt über Unternehmertum, über Unternehmensgründung, Unternehmensstrategie, Unternehmensführung, das ist ja ein geballtes Wissen, was man eins zu eins übernehmen kann. Genauso finde ich es extrem empfehlenswert, auf der einen Seite sich zu überlegen: Gibt es vielleicht andere Gründer in einer ähnlichen Situation, in einem ähnlichen Bereich, die vielleicht schon ein bisschen weiter sind, die man als Mentoren gewinnen kann? Wir haben zum Beispiel bei uns eine Person in unserem Beirat, die Therapierobotik für die Intensivstation entwickelt, die etwas weiter ist als wir. Und das war für uns eine der größten Hilfen auf dem Weg, jemanden zu haben, der fast den gleichen Weg eben auch beschreitet. Und uns dann auch eins zu eins als, sage ich mal, Vorbild und Role Model erklären kann, was sie richtig gemacht haben, was sie falsch gemacht haben – was uns natürlich dabei hilft, diesen Weg dann auch zu beschreiten. Ja, und auf diese Suche nach Mentoren, Beratern und Wissen würde ich mich dann erst einmal begeben, um da eben das Rad nicht neu zu erfinden, sondern zu sagen: Wir haben zum Beispiel eine Sache, die niemand anderes hat, ein besonders gutes Produkt, ein besonders gutes Geschäftsmodell, was auch immer. Aber alles andere drum herum, da kann man sich ja immer noch sehr gut an bestehenden Best Practices orientieren.

Also Best Practices und das Lernen aus Büchern ist das eine. Bei einem so speziellen Produkt wie einem Medizinprodukt und den ganzen gesetzlichen Regularien und Qualitätsauflagen hat Ihnen ein Mentor geholfen. Sie erwähnten schon einen Investor. Aber wenn man ohne Erfahrung im Bereich Medizintechnik gründet, wird ja wahrscheinlich ein Investor nicht reichen?

Das stimmt. Nachdem wir dann erst mal uns als Gründerteam zusammengefunden hatten, nachdem die dritte Person weg war, wir dann erst einmal die Firma gegründet hatten, war die nächste größte Herausforderung, überhaupt einen ersten Investor zu finden. Uns war eigentlich klar, dass wir schon einen hohen sechsstelligen bis siebenstelligen Bereich brauchen, um überhaupt mal starten zu können, um einige Leute einzustellen, weil die Medizinprodukte-Zulassung so aufwendig ist. Und da hat man natürlich eine große Herausforderung, Investoren anzusprechen, zu sagen: „Also wir haben gerade unser Abitur gemacht. Wir wissen eigentlich nicht, was wir tun. Wir müssen Leute einstellen, die es noch nicht gibt. Wir haben keine Ingenieure, und wir haben auch noch nie eine Medizinprodukte-Zulassung gemacht. Eigentlich wissen wir auch da nicht, wie das geht. Jetzt hätten wir gerne eine gigantische Summe an Geld – und vertraut uns doch bitte!“ Das war ein sehr steiniger Weg, der sehr viele Absagen und Iteration nach sich gezogen hat. Und da kann ich aber auch nur empfehlen, daraus zu lernen und eben aus jeder Absage irgend etwas mitzunehmen. Also jede Absage hat einen Grund. Den muss man herausfinden und dann den Businessplan für das nächste Mal eben besser machen. Vielleicht konnte man irgendeine Strategie nicht plausibel erklären. Vielleicht konnten wir plausibel nicht erklären, wie wir die Zulassung als Medizinprodukt erreichen wollen. Also es gibt ja immer einen Grund für eine Absage, und den muss man dann einfach verstehen, dann die Lücken füllen und dann wieder einen neuen Versuch bei einem Investor machen. Das haben wir einfach so lange gemacht, über ein Dreivierteljahr hinweg. Also wir hatten am Ende mit über 100 Investoren Gespräche gehabt, bis wir dann jetzt eben ein Team von vier Investoren gefunden haben, die uns unterstützen und diese Reise jetzt mit uns gegangen sind, bis wo wir jetzt heute stehen. Und gerade diese erste Finanzierungsrunde war extrem steinig für uns. Am Ende war es tatsächlich so weit: Also wir hatten uns, um die Firma zu gründen, einen Privatkredit genommen, weil auch da unsere Eltern uns jetzt nicht finanziell unterstützen konnten, wollten, und wir das auch nicht wollten. Und hatten uns dann eben einen selbst verschuldeten Kredit genommen, damit die Firma gegründet. Und dann einfach über die Zeit hatten wir ein Büro zu finanzieren, wir hatten Reisekosten et cetera, hatten uns natürlich kein Gehalt ausgezahlt. Es war dann irgendwann sogar das Geld in der GmbH fast leer. Und wir konnten nicht einmal mehr die Zugkosten bezahlen, um dann zu einem Investor zu fahren, um den zu treffen. Dann hat Dominic angefangen, nebenbei auf einer Baustelle zu arbeiten. Ich hatte angefangen, in der Schwimmschule zu arbeiten. Das waren dann auch extrem lange Wochen, weil wir dann im Prinzip ja auch wie zwei Jobs nebeneinander jeweils hatten. Da waren wir dann schon extrem froh, als wir diese erste Finanzierungsrunde hinter uns hatten.

Aber lassen Sie mich noch einmal nachhaken und in die Phase gehen, bevor Sie Investoren gefunden hatten. Wie kriegt man denn als frisch gebackener Schulabsolvent überhaupt Kredite von einer Bank?

Also wir hatten verschiedene Vorgespräche geführt, um erst einmal selber herauszufinden, wie kriegt man das eigentlich, weil wir es auch nicht wussten. Hatten zum Glück bei uns einen extrem hilfsbereiten Existenzgründungsberater. Der hat uns dann erst mal erklärt, was wir eigentlich dafür alles brauchen, dass wir einen Businessplan brauchen, eine Finanzplanung, wie so etwas aussehen könnte. Und hat uns dann erst mal mit einigen Hausaufgaben wieder nach Hause geschickt. Und die hatten wir dann eben auch umfangreich erledigt, ihm vorgestellt und ihm gleichzeitig auch erklärt, dass wir jung sind. Wenn das Ganze jetzt schiefgeht, werden wir schon an einem anderen Ort uns irgendwo anstellen lassen und dann das Geld schon tilgen. Vielleicht nicht in dem Tilgungsplan, wie es jetzt vereinbart wäre. Es wird vielleicht ein bisschen länger dauern. Aber wir werden das Geld schon zurückzahlen können. Da hat er dann auch gesagt, er glaubt an uns und so eine Gründung zu finanzieren ist ihm auch ein Anliegen. Und wir hatten auch letztlich halt wirklich unsere Hausaufgaben gemacht, alle Unterlagen erstellt, einen langen Businessplan erstellt, umfangreiche Excel-Tabellen, um das Ganze auch zu verargumentieren. Und da hat er uns dann eben unterstützt und mit dem Kredit geholfen.

Woher wussten Sie denn, wie man einen sauberen Businessplan erstellt?

Na ja, das wussten wir ja natürlich nicht. Also das erste war natürlich, dass wir nach Bauchgefühl und gutem Glauben mal eine erste Version erstellt hatten und die dann an verschiedene andere Start-ups, an Berater geschickt haben, um Feedback einzuholen. Und dann gab es sehr viele harte Kritiken und Feedbacks. Und das ist eigentlich etwas, was den ganzen Weg zeichnet, dass man immer die Dinge einfach versucht und nicht so viel darüber nachdenkt, was man nicht kann, sondern einfach mal anfängt und dann eben schon gesagt bekommt, was nicht stimmt. Und aus diesen Absagen und Feedbacks lernt, es besser macht. Und dann nach, sage ich mal, zehn Versuchen, kann man es dann irgendwann. Natürlich kann man es von Anfang an nicht, aber man lernt eben aus den ganzen Feedbacks und Fehlschlägen, und keiner erwartet von einem, dass man es von Anfang an perfekt kann.

Sie hatten also Glück, bei Ihrer Bank auf einen verständnisvollen Berater zu treffen. Haben Sie aber über diesen Bankkredit hinaus vielleicht auch an Stipendien oder weitere Förderkredite gedacht?

Wir haben daran gedacht und auch umfangreich recherchiert. Zum Beispiel gibt es ja das EXIST-Gründerstipendium, was aber leider nur für Menschen ist, die eben studiert haben, worunter wir nicht fallen. Was wir dafür gemacht haben, ist, bei verschiedenen Wettbewerben teilzunehmen, bei denen wir auch immer wieder Preisgelder gewonnen haben und uns damit dann auch zum Teil finanzieren konnten. Aber die Stipendien kamen für uns damals leider nicht infrage.

Sie erwähnten vorhin schon, die Investorensuche war ein steiniger Weg. Sie sind auch einige Male gescheitert.

Ja, es gab auf dem Weg viele, viele Absagen, sehr viele kleine Absagen, die dann auch kurz und schmerzlos waren. Dass man mal eingeladen wurde zu einem Pitch, das Ganze vorgestellt hat und danach einfach die Info bekommen hat, dass es wohl nicht passt. Es gab aber auch wirklich einige Absagen, die sehr ärgerlich waren, wenn man dann durch den gesamten Prozess durch ist, eine Due Diligence macht, sehr viele Unterlagen vorstellt et cetera. Und dann eben nach monatelanger Arbeit eigentlich an so einer Beteiligung durch einen Investor dann sehr spät noch mal eine Absage bekommt, das ist uns auch mehrmals passiert. Und das ist natürlich extrem demotivierend und ärgerlich, weil man sich dann so langsam auch mental darauf einstellt, dass es jetzt durch ist und geklappt hat. Und ein Spruch, den man vorher schon sehr oft gehört hat, dann auch schmerzlich zu lernen bekommt, dass man eben immer wieder hört: „Das ist erst durch, wenn die Tinte getrocknet ist.“ Und das mussten wir leider auch, mehrfach leider, zu spüren bekommen. Dass dann beispielsweise Investmentmanager noch mit uns sehr weit durch den Prozess gegangen sind. Zum Beispiel hatten wir einmal mit einer großen Klinikengruppe gesprochen und dann [passierte es, dass] hinten raus jemand aus dem Board sich nicht an einer so frühen Beteiligung engagieren wollte –auch an wahrscheinlich zwei so frühen, so jungen Gründern mit dem Background. Und das ist natürlich ärgerlich nach monatelanger Arbeit, wenn es dann doch noch einmal an einem Board oder so scheitert.

Meinen Sie, dass Ihnen bei den letztlich gescheiterten Investorenrunden dann Ihre Jugend im Weg gestanden ist?

Das kann sein, muss nicht zwingend sein. Ich glaube, da sind wir vielleicht doch ein ungünstiges Beispiel, weil der Sektor in der Medizintechnik extrem komplex ist. Es gibt sehr viele Normen und Gesetze zu beachten. Das Produkt, was wir entwickeln, ist noch mal komplexer. Wir haben den Bereich Mechanik, Elektronik, Firmware, Software. Es sind so viele Sachen, die es zu beachten gilt. Um so eine Komplexität handeln zu können, ist sicherlich Erfahrung sehr hilfreich. Und dann minimiert es natürlich die Wahrscheinlichkeit, das Unternehmen zum Erfolg zu führen, wenn einem die Erfahrung fehlt.

Und wie haben Sie diese fehlende Erfahrung und auch die Tatsache, dass Ihr Unternehmen ja neu und unbekannt ist am Markt, kompensiert?

Wir haben versucht, uns mit Partnern zusammenzuschließen, um diese Frage zu beantworten. Auf der einen Seite konnten wir einen Investor für uns gewinnen, der sehr, sehr viel Erfahrung hat im Bereich der Medizinprodukte-Zulassung und im Bereich des Qualitätsmanagements und uns da natürlich extrem viel helfen und unterstützen konnte. Und auf der anderen Seite aber auch Unternehmen als Partner in der Entwicklung und Produktion, die eben seit über 20 Jahren Medizinprodukte produzieren für andere Hersteller, mit denen wir dann auch eben diese kritischen Fragen der Produktion für Medizinprodukte beantworten können. Und so haben wir dann eben versucht, teilweise externe Kompetenzen reinzuholen, auf der anderen Seite uns natürlich aber auch selbst einfach weiterzubilden und dieses Wissen Stück für Stück uns aufzubauen und dann gleichzeitig auch in den Gesprächen einfach eine Zuversicht auszustrahlen und zu sagen: Hey, wir sind vielleicht nicht die, die heute alles wissen, aber bereits in „Jugend forscht“-Projekten haben wir bewiesen, dass wir die sind, die extrem schnell und eigenverantwortlich lernen können. Also es ist nur eine Frage der Zeit, dass, wenn wir jetzt diese Mittel hätten, dass wir auch wissen werden, wie das geht. Da muss man dann letztlich auch unseren Investoren zugutehalten, dass die sicherlich auch da uns einfach ein Stück weit vertraut haben, zu sagen: Hey, wenn die sich da so sicher sind, dass die sich das ganze Wissen jetzt aneignen wollen, dann unterstützen wir das jetzt mal und wagen das Risiko. Was ja auch nicht selbstverständlich ist, im Gegenteil.

Wir hatten in unserer Folge mit der Firma RetroBrain GmbH bereits das Thema Zulassung von Medizinprodukten. Ist es denn jetzt schwieriger, ein Medizintechnikprodukt wie die AnyHand auf den Markt zu bringen oder überhaupt erst einmal zugelassen zu bekommen?

Definitiv! Also es kommt natürlich immer darauf an, mit was man es jetzt vergleicht. Die Entwicklung eines, ich sage mal, Autos oder Ähnliches ist sicherlich noch einmal schwerer. Aber wenn man jetzt die meisten Smartphone-Apps oder Ähnliches sich anschaut, ist sicherlich einfach die Komplexität und die Zulassungsanforderungen von einem Medizinprodukt um ein Vielfaches höher, was auch erklärt, warum die Entwicklung einfach so lange dauert. Also, bei uns hat es jetzt zwei Jahre Entwicklungszeit gekostet, das Produkt zu entwickeln, durch die Zulassung zu bringen und den Markteintritt zu starten. Was im Medizinprodukte-Bereich eigentlich schon schnell ist. Für die meisten Apps ist es aber ja meistens möglich, nach schon kurzer Zeit, teilweise Wochen, teilweise nach zwei, drei Monaten ein erstes MVP [Minimum Viable Product], also eine einfache Produktversion, auf den Markt zu bringen und bereits erste zahlende Kunden zu generieren und Early Adopters mit ins Produkt aufzunehmen. Und das ist natürlich im Medizinprodukte-Bereich … spricht man da auch von viel längeren Timelines.

Ist es eigentlich schwierig, als junges Unternehmen mit einem sehr jungen, unerfahrenen Gründungsteam erfahrene Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu gewinnen?

Definitiv! Es ist auf jeden Fall eine Herausforderung. Aber ich würde sagen, dass es für alle Start-ups, die noch sehr am Anfang stehen, eine Herausforderung ist, die ersten Mitarbeiter zu finden, nicht nur aus Sicht des Start-ups, überhaupt jemanden zu finden, sondern auch jemanden zu finden, der dann auch noch sehr gut ins Team passt und wirklich auch ein Top-Performer ist, der auch das Team maximal weiterbringt. Also es geht ja nicht nur darum, die Stelle irgendwie zu besetzen, sondern möglichst gut zu besetzen. Was für uns wirklich gut funktioniert, ist, dass wir auch insgesamt ein sehr junges Team sind und bei der Auswahl der meisten Leute eigentlich immer wieder darauf geachtet haben, nicht was die Person heute kann, sondern wie schnell die Person sich etwas beibringen kann und wie lernbereit die Person ist. Dadurch haben wir viele Personen eingestellt, die bei uns beispielsweise ein Praktikum und eine Abschlussarbeit gemacht haben. Und nach dem Abschluss der Bachelor- oder Masterarbeit haben wir sie dann übernommen und konnten eben über diesen Zeitraum herausfinden, ob die Person gut darin ist, sich selber etwas beizubringen oder nicht. Und dadurch haben wir tatsächlich ein Team, was aus sehr vielen sehr jungen Leuten besteht, die aber sehr stark darin sind, eben alles sich selbst beizubringen. Und das ist eben auch Teil unserer Kultur, dass wir wirklich sagen: Es gibt gar nicht die Herausforderung, dass man im Lebenslauf eine Checkliste durchgehen muss und sagen muss: Hat die Person diese sieben Fähigkeiten, ja oder nein? Sondern wenn eine Person sich schnell etwas beibringen kann, dann ist es nur eine Frage von drei Monaten, bis die Person die Sachen kann. Und dann kann sie auch an ihren Aufgaben arbeiten.

Sie hatten erwähnt, dass Sie nebenher arbeiten mussten anfangs, um sich zu finanzieren. Da waren Sie aber frisch von der Schule, auch nur für sich selbst verantwortlich. Meinen Sie, dass Gründen in so einem jungen Alter deswegen vielleicht leichter fällt? Oder würden Sie heute zu mehr Erfahrung im Vorfeld raten?

Ich finde, das ist eine schwierige Frage. Im jungen Alter hat man den Vorteil, keine Verpflichtungen zu haben, keine Familie, für die man sorgen muss. Im hohen Alter hat man den Vorteil der Erfahrung, dafür eben mehr Verpflichtung. Aber ich denke, das balanciert sich aus und ist am Ende gar nicht so wichtig. Aber was viel wichtiger ist, ist erst mal zu verstehen, dass Gründen extrem hart ist. Dass man viele sehr große Steine im Weg hat, die beseitigt werden müssen. Und um das tun zu können, ist eigentlich ganz wichtig: Wie sehr will man es? Und die Gründer, die ich kenne, die auch wirklich erfolgreich sind, das sind eigentlich die, die sich gar nicht dann die Frage stellen: Habe ich jetzt einen Nachteil? Bin ich zu alt, bin ich zu jung? Da stellt sich die Frage gar nicht. Sondern wenn man es so sehr will, dann ist klar, dass man es tut. Und ich glaube, das ist auch die einzige Einstellung, die einem vielleicht wirklich dabei hilft, es so weit durchzuziehen und alle eben diese Probleme, die sich über die Zeit auftun, zu überstehen. Denn die Verlockung, auf dem Weg aufzugeben, ist immer wieder gegeben, weil es einfach extrem hart ist, extrem frustrierend und man viel mehr mit Problemen zu kämpfen hat, als dass man Zeit hat, sich über Erfolge zu freuen. Und wenn man es nicht genug will, dann wird man auf dem Weg aufgeben und wird nicht genug beißen, um das zu tun, was nötig ist, um die Probleme zu lösen. Und ob man zu alt ist oder zu jung, ist eigentlich nebensächlich. Also, wenn man da viel zu viel darüber nachdenkt, zeigt das eigentlich schon, dass man es nicht genug will.

Das ist ja quasi schon ein Business-Mantra, dass Sie trotz Ihrer jungen Jahre in Ihrer unternehmerischen Tätigkeit schon sich angeeignet haben. Wir haben eine Rubrik „Mantra Mantra“, in der wir genau solche Business-Überzeugungen noch mal stichwortartig abfragen.

Welche Mentalität müssen junge Gründerinnen und Gründer zum Beispiel im Schulalter mitbringen, wenn sie gründen wollen?

Also da fallen mir zwei Sachen ein. Das eine ist, es wirklich wirklich zu wollen, weil es einfach ein extrem steiniger und harter Weg ist mit sehr vielen Problemen und Frustrationen. Und das zweite ist eine extreme Offenheit und Lernbereitschaft und Neugierde, um all die Themen, die man noch nicht kennt, aufzusaugen wie ein Schwamm und so schnell wie möglich über sich selbst hinauszuwachsen.

Wie können junge Gründerinnen und Gründer angesichts ihrer geringen unternehmerischen Erfahrung überzeugen?

Man kann die geringe Erfahrung kompensieren, indem man sich auf der einen Seite starke Mentoren, Berater, Partner und Mitarbeiter an Bord holt und auf der anderen Seite klar darstellt, wie lernbereit man ist und wie schnell man sich die Sachen beibringen kann.

Mit der Erfahrung von heute: Was würden Sie Ihrem Schüler-Ich heute raten?

Weniger zu zweifeln und noch mehr zu vertrauen, dass es irgendwie schon funktioniert.

Vielen Dank, Herr Lindemann! Bitte vervollständigen Sie doch jetzt am Ende noch folgende Sätze, ganz schnell und ohne nachzudenken. Als Kind wollte ich schon immer …?

... Erfinder sein.

Wenn ich etwas erfinden oder konstruieren dürfte, wäre das …?

... die Möglichkeit, sich zu beamen.

Wäre ich Lehrer an einer Schule, würde ich …?

… mehr Fokus auf eigenständiges Denken und Eigenverantwortung legen.

Meine wertvollste Erfahrung als junger Unternehmer ist …?

… ein Verständnis dafür gewonnen zu haben, wie wichtig in einem Team eigentlich die Kultur ist, wie man miteinander umgeht.

Ja, ganz herzlichen Dank, Herr Lindemann, dass Sie hier für andere junge Gründerinnen und Gründer Ihre Erfahrungen geteilt haben. Das zeigt ja auch, dass Gründen eben keine Altersfrage ist, sondern eher eine von Willenskraft, Überzeugung und Selbstvertrauen. Ich wünsche Ihnen natürlich viel Erfolg mit der AnyHand, damit noch viele weitere Menschen von dieser Therapiemöglichkeit profitieren können.

Vielen Dank und Ihnen auch alles Gute!

In der kommenden Folge geht es weiter mit jungen Gründungen. Merna Hermez kam als kleines Mädchen mit ihrer Schwester und ihrem großen Vorbild, ihrer Mutter, aus dem Irak nach Deutschland. Sie hat mit Mitte zwanzig ihre Firma Heyam Jewelry gegründet. Wir stellen Merna Hermez’ Geschichte und ihren Juwelenshop vor. Bis dahin!

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